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Portrait: Alexandra Jabs (aj) | Fotos: Susanne Schleyer/Suhrkamp Verlag

Debütantinnenball: Nina Bußmann

Unkraut und Gedankenkreise

In der literarischen Welt ist derzeit jung, wer nach 1970 geboren ist, und sehr jung, wer eine Acht im Geburtsjahr vorweisen kann. Nicht weniger als vier sehr junge Autorinnen, die ein interessantes, ein poetisches oder anrührendes Buch geschrieben haben, stellen sich in diesem Bücherfrühling dem Leser vor.

Die Auswahl für den Ingeborg-Bachmann-Preis und der Gewinn des 3-Sat-Preises sind Qualitätssiegel, die für den Autor, neben Lob und Anerkennung, einen höchst gelungenen Auftakt für eine Karriere im Literaturbetrieb bedeuten. Nina Bußmann (31) , hat diese Stempel aufgedrückt bekommen. Ihr Prosawerk „Große Ferien“, oder zumindest ein Ausschnitt daraus, wurde in Klagenfurt ausgezeichnet.

Im perfekt inszenierten Konjunktiv

Der Protagonist ihres Romans begegnet uns gleich zu Beginn in seiner Lieblingsstellung – kniend auf der Auffahrt vor seinem Haus. Während Schramm auf den Besuch des Bruders wartet, schafft er es, fast die ganze Fläche vom Unkraut zu befreien. Denn seit der vorzeitigen Entlassung aus dem Schuldienst stimmt er seinen gesamten Tagesablauf auf die Gartenarbeit ab. „Einen Rhythmus müssen die Tage haben und immer die gleiche Form. Das ist nicht langweilig, das ist nur hilfreich, wenn man sich auf seine Aufgabe konzentrieren muss. Und alles, was lebt, hat seine Aufgabe, an der es sich zerreibt“, heißt es. Die Autorin beschreibt eben diese Aufgabe sehr detailliert, metaphernreich und mit dem geübten Wortschatz einer vermeintlichen Botanikerin. „Ich mag Blumen und Gärten zwar sehr gerne, habe aber überhaupt kein Händchen dafür. Am Anfang des Textes war es auch gar nicht vorgesehen, dass es eine solche Passion gibt. Aber als ich mich dafür entschieden habe, hat es mir große Freude bereitet, diese Sprache zu entdecken.“ Eine Pause darf sich Schramm nicht gönnen, denn Ungeziefer und Unkraut ruhen nicht. Schade nur, dass er seine Gedanken nicht ebenso schnell ausrupfen kann. Sie kreisen und kreisen. Um Vergangenes, Verpasstes, Existenzielles. Um die Beziehung zu Mutter, Vater und Bruder und zu seinem hochbegabten Schüler Waidschmidt. Ein Sonderling wie er, der zum Übertreiben neigt und die Verantwortung für Schramms missliche Lage trägt. Oder nicht? Denn was wirklich passiert ist, bleibt offen. Nichts ist sicher, alles möglich vor dem Hintergrund eines perfekt inszenierten Konjunktivs.

Chaos im Hintergarten

„Einige Autoren haben ein größeres Mitteilungsbedürfnis, bei anderen scheint der Formwille stärker zu sein. Für mich ist das Erzählen wie eine Suche nach dem, was wahrhaftig ist. Das ist sicherlich ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Deshalb könnte ich es auch nicht im Indikativ ausdrücken“, sagt Nina Bußmann, die in Berlin und Warschau Komparatistik und Philosophie studierte.

Und während der Vorgarten perfekt gepflegt zu sein scheint, ist im hinteren Teil des Gartens längst das Chaos ausgebrochen. Ist Bußmanns Roman ein Text, der leicht zu deuten ist? Nein. Ein Text typisch für die Klagenfurter Literaturtage? Mit Sicherheit. Aber genau das spricht auch für seine Qualität.

„Welthaltigkeit“? „Fräuleinwunder“?

Bei jüngeren Autoren, vor allem bei welchen, die sehr nah an ihrer eigenen Lebenswelt erzählen, spricht man schon länger von „Welthaltigkeit“, eine Worthülse, die ähnlich katastrophal wie „Fräuleinwunder“ anmutet. Warum sind schreibende, junge Frauen ein Wunder? Warum ist Alltag im Roman die ganze Welt? Einige dieser jungen Autorinnen erzählen nah dran an ihren Erfahrungen, lassen den Leser so etwas wie den Sound der Jugend erleben, mit all seinen schrägen und zarten Tönen. Liebe und Beziehung spielen in ihren Büchern erstaunlicherweise eine weniger zentrale Rolle als der fehlende Zusammenhalt oder das Auseinanderbrechen von Familie, die Entwurzelung in der Gesellschaft und der Tod.

Drei der jungen Schriftstellerinnen erzählen aus der ersten Person, einem Ich, das in Alter und Geschlecht ihnen in etwa entspricht. Fiktion und Autobiografisches lassen sich so wohl nur schwer trennen, aber das ist auch überflüssig, denn die Romane machen die daraus entstehende Intimität aus. So öffnet Olga Grjasnowa durch ihre Protagonistin, die, wie sie selbst, aus Aserbaidschan nach Deutschland immigrierte, die Tür in eine nach außen perfekt assimilierte Migrationskultur. Doch auch wenn Mascha sieben Sprachen spricht, bleibt sie stumm, wenn sie sich an ihre Erlebnisse als Kind im Bürgerkrieg in Baku erinnert.

Gute Voraussetzungen

Doch die Autorinnen sind Realistinnen, distanzieren sich auf Nachfrage vom erzählerischen Ich. Lisa-Maria Seydlitz fängt Gefühle des Sommers ein, erzählt in der ersten Person, Juno, vom Verlust des Vaters und der Kindheit. Juno sucht etwas, das sie verloren hat und wird dafür belohnt. Cornelia Travniceks Protagonistin, in ihrer geballten Wut auf die Welt und das Verlassen werden, ist authentisch und leidenschaftlich, der Roman eine Coming-of-Age Geschichte unter drastischen Bedingungen. Nur Nina Bußmann versetzte sich in einen Protagonisten, der durch Alter und Geschlecht ihrer eigenen Person diametral entgegengesetzt ist – und löste diese selbstgestellte Aufgabe mit einer Bravour, die ihr in Klagenfurt den 3-Sat-Preis einbrachte.

Alle diese jungen Debütantinnen haben bereits Geschichten veröffentlicht, Stipendien erhalten, Kurzgeschichtenpreise gewonnen oder sogar literarische Studiengänge besucht. Ihnen allen sind Prädikate verliehen worden, die sie weitergebracht, gefördert und aufgebaut haben, bis zu diesem ersten Buch in einem namhaften Verlag. Noch nie war die literarische unabhängige Kultur in Deutschland so produktiv wie zurzeit: Lesebühnen, Wettbewerbe, Poetry-Slams und Blogs. Stipendien, Schreibgruppen und Autorenforen liefern Kritik, finanzielle Starthilfe und Bestätigung. In der Peripherie dieser Schreib- und Lesekultur entwickelten sich diese Romane, die einmal mehr Kritiker und Leser aufhorchen lassen werden: so jung und so gut?! Kein Wunder. Eine erfreuliche Entwicklung.

Nina Bußmann: Große Ferien. Suhrkamp, 200 Seiten, 7,95 Euro

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