Philosophieren mit Kindern
Wieso, weshalb, warum?
Kinder, das wissen Eltern und Erzieher aus eigener Erfahrung, können Erwachsene mit ihren Fragen ganz schön in Verlegenheit bringen. Warum bin ich, wie ich bin? Weshalb sterben wir? Wieso lügen Erwachsene manchmal? Kinder stellen Fragen, die auch die „großen“ Philosophen beschäftigt haben.
Und genau diesen Fragen widmet sich Antje Damm in ihrem schönen, mittlerweile zu einem Klassiker gewordenen Buch „Ist 7 viel?“ für Kinder ab 6 Jahren. „Was ist Glück? Warum werden manche krank? Warum leben wir nicht ewig?“ sind nur einige davon. Jeder Frage ist ein Bild zugeordnet, das sie teils illustriert, teils reflektiert, und unversehens entsteht ein schon philosophisch zu nennendes Wechselspiel zwischen Kind, Buch und begleitendem Erwachsenen.
Gleichfalls an Vorschulkinder, jedoch mit einem expliziteren pädagogischen Anspruch, wendet sich „Wolkenbilder + Möwendreck“ von Kristina Calvert. Durch sechzehn kurze Geschichten aus dem Leben einer Möwe zu vier grundlegenden Bereichen der Philosophie (Erkenntnislehre – was kann ich wissen?, Ethik – was soll ich tun?, Metaphysik – was darf ich hoffen? und philosophische Anthropologie – was ist der Mensch?), und nachfolgende weiterführende Fragen werden die Kinder zum Nachdenken über die Welt und zum Hinterfragen derselben angeregt. So lernt die hungrige Möwe in einer der Geschichten eine nette Krabbe kennen, freundet sich mit ihr an und bekommt dann plötzlich doch Appetit auf diese. „Woran kann man das Böse wirklich eindeutig erkennen?“ lautet nachfolgend einer der Denkanstöße, die von der Handlung wegführen und anhand dieser diskutiert werden können. Das Konzept des Buches basiert ausdrücklich auf dem Dialog mit einem erwachsenen Mediator. Auf der Internetseite des Verlages werden daher kostenfreies pädagogisches Begleitmaterial und ein die Arbeit mit dem Buch veranschaulichender Kurzfilm zum Download angeboten.
Die Weisheit am Strand ausbuddeln
Der sympathische Sandwolf in Åsa Linds „Alles von Zackarina und dem Sandwolf“ - das Mädchen Zackarina gräbt ihn eines Tages buchstäblich am Strand aus – weiß, wie er behauptet, alles und hat auf alle Fragen eine Antwort. Allerdings sieht diese meist anders aus, als erwartet, und regt gerade daher zum Nachdenken an. In vielen kurzen Geschichten, die sowohl zum Selbstlesen als auch zum Vorlesen geeignet sind, werden auf wunderbar leichte und herrlich verdrehte Weise grundlegende Fragen des Lebens angesprochen.
Ebenfalls voller Fantasie und Denkanstöße ist das von Alexandra Junge wunderschön illustrierte Buch „Vom Fischer, der ein Künstler war“ von Manfred Schlüter, das von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur als Kinderbuch des Monats September 2011 ausgezeichnet wurde. „30 kleine Geschichten für große Gedanken“ werden angekündigt. Sie erzählen vom Besonderssein eines jeden Menschen, von der Unendlichkeit des Weltalls oder der Macht der Fantasie. Es handelt sich hier sicher nicht um ein philosophisches Buch im engeren Sinne, und doch ist es in der Lage, dazu anzuregen, die Dinge aus einer anderen als der gewohnten Perspektive zu betrachten, was an sich ja schon der Denkansatz eines jeden Philosophen ist.
Grundschulkinder ausdrücklich an die „echte“ Philosophie heranführen möchten Oscar Brenifier, Manfred Geier und das Autoren-Duo Brigitte Labbé und Michel Puech mit ihren Büchern. Der französische Philosoph Brenifier setzt seine Reihe „Wissen. Was ist das? Philosophieren mit neugierigen Kindern“ fort, von der mittlerweile neun Titel (darunter „Wissen. Was ist das?“ oder „Freiheit. Was ist das?“) auf Deutsch erschienen sind. Auf eine grundlegende Frage – z.B. „Gehören deine Ideen dir?“ oder „Woher weißt du, dass das Universum existiert?“ - folgen mögliche Antworten, die sofort wieder durch andere Fragen in Zweifel gezogen werden. Das Buch ist nicht zum Durchlesen gedacht, sondern soll – am besten im Dialog mit einem Erwachsenen – zum Nach- Selbst- und Weiterdenken anregen, sodass sich ein stimulierendes Wechselspiel der Reflexion entwickelt.
Kant für Achtjährige
Ganz anders führt Manfred Geier die Kinder in „Was konnte Kant, was ich nicht kann?“ an die großen Fragen der Philosophie heran: Er bettet diese in eine Rahmenhandlung ein. Toni, der achtjährige Sohn einer Freundin, tauscht mit dem Ich-Erzähler E-Mails und Briefe aus und führt mit ihm Gespräche. Hieraus entwickeln sich philosophische Exkurse und Gedanken. Je nach Fragestellung – z.B. „Was macht den Mensch zum Menschen?“, „Darf ich lügen?“ oder „Wie frei ist mein freier Wille?“ - erläutert der Autor auf durchaus unterhaltsame Weise die Positionen der hierfür jeweils relevanten Denker. In eingefügten Absätzen werden ihr Leben und die Grundzüge ihrer Gedankenwelten dargestellt. Das Buch ist zwar in kindgerechter Sprache verfasst, jedoch werden wohl nur wirklich interessierte Achtjährige den doch ziemlich anspruchsvollen Ausführungen folgen können und wollen.
Das französische Autorenduo Brigitte Labbé und Michel Puech hingegen versucht in „Denk dir die Welt – Philosophie für Kinder“ nicht einen Einblick in die verschiedenen Strömungen der Philosophiegeschichte zu vermitteln, sondern will bei seinen Lesern die Fähigkeit entwickeln, über die Grundfragen der Philosophie nachzudenken. Leben und Tod, Freiheit und Unfreiheit, Fragen der Ethik oder Moral werden durch kurze Geschichten aus dem Alltag veranschaulicht, die nachfolgend durch Erklärungen ergänzt und kommentiert werden, wodurch ihr philosophischer Gehalt erkennbar und nachvollziehbar wird. Die Autoren wecken im Leser auf unterhaltsame Weise die Fähigkeit, über Gewohntes zu staunen und dieses aus philosophischer Sicht zu analysieren.
Eine Herausforderung für das denkende Kind
Erwähnenswert ist auch die Hörbuchreihe „Das Abenteuer Philosophie“ von Arnulf Zitelmann über die Philosophen der Antike. Nach Platon, Sokrates und Aristoteles ist nun Diogenes an der Reihe. Wer war dieser Mann? Wie lebte und was dachte er? Wie wurde er zu dem noch heute berühmten Philosophen und wie sah die Welt zu seiner Zeit aus? Das Thema ist für Kinder sicher eine Herausforderung, kann aber auch als Einladung betrachtet werden, sich auf das Abenteuer Philosophie einzulassen.
Für etwas ältere Leser ab 12 Jahren hat Gabriele Münnix ihre in eine gut lesbare Geschichte verpackte „fabelhafte Einführung ins Philosophieren - Anderwelten“ geschrieben. Phil und Feli verbringen ihre Sommerferien bei den Großeltern. Auf dem Dachboden finden sie ein geheimnisvolles Buch mit 30 Geschichten und vielen leeren Seiten. Die parabelartigen Fabeln beschäftigen sich mit den verschiedensten philosophischen Fragen und die leeren Seiten nutzen die Kinder zum Aufschreiben eigener Gedanken und Anmerkungen, kurz: zum Philosophieren, was durchaus als Anregung zum Weiterdenken angesehen werden kann, dem Aufruf Kants folgend, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Nicht zu vergessen ist schließlich der immer noch wegweisende Klassiker für Jugendliche von Jostein Gaarder, „Sofies Welt“, der auf äußerst unterhaltsame, klare und verständliche Weise dem jungen Menschen auf der Stufe zum Erwachsenwerden die gesamte Geschichte der Philosophie und ihre wichtigsten Vertreter nahebringt.
Jostein Gaarder: Sofies Welt. Übersetzt von Gabriele Haefs. dtv, 622 Seiten, 9,90 Euro
Manfred Schlüter: Vom Fischer, der ein Künstler war. Alexandra Junge (Illustr.). mixtvision, 72 Seiten, 12,90 Euro
Åsa Lind: Alles von Zackarina und dem Sandwolf. Übersetzt von Jutta Leukel; Philip Waechter (Illustr.). Beltz, 353 Seiten, 7,95 Euro
Oscar Brenifier: Wissen. Was ist das? Philosophieren mit neugierigen Kindern. Übersetzt von Tobias Scheffel. Boje, 96 Seiten, 14,99 Euro
Brigitte Labbé, Michel Puech: Denk dir die Welt. Übersetzt von Anne Braun. Loewe, 136 Seiten, 7,95 Euro
Gabriele Münnix: Anderwelten. dtv, 301 Seiten, 8,95 Euro
Zitelmann: Der schlaue Diogenes. Gesprochen von Martin Falk. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 70 Minuten/1 CD , 12,90 Euro
Antje Damm: Ist 7 viel? Moritz Verlag. 96 Seiten, 14,80 Euro