Robinsons Tochter
ERZÄHLUNGEN UND ROMANE
Informationen: , 24 €
Verlag: Hanser Berlin
Rezension
Eine solche Romanfigur trifft man nicht alle Tage. Polly Flint heißt sie, und als sie uns das erste Mal begegnet, im Jahr 1904, ist sie sechs Jahre alt. Und hat da schon einiges hinter sich, die Mutter starb früh, der Vater ist immer unterwegs. Nun kommt sie in Obhut der zurückgezogen lebenden und frommen Schwestern ihrer Mutter. Kindgerecht geht es dort auch nicht gerade zu, aber mit dem ihr eigenen abgebrühten Blick auf die Verhältnisse, mit ihrer Lakonie und Unerschütterlichkeit entwickelt sich Polly zu einer bemerkenswerten und eigenwilligen Persönlichkeit. Sie geht nicht zur Schule, sondern wird zu Hause in Deutsch und Französisch unterrichtet. Ihr eigentlicher Lehrmeister ist Defoes Roman „Robinson Crusoe“. Allein auf einer Insel, so fühlt sie sich. Der Roman wird ihr zum Haltepunkt in allen Lebenslagen, zum Ratgeber und Trostspender: „Es war natürlich keine Rede davon, mich liebzuhaben, noch gab es sonstige Zuneigungsbekundungen, aber das machte nichts, denn ich hätte auch nicht gewusst, wie ich mit Liebe hätte umgehen sollen.“ So genau weiß das Polly auch nicht, als sie älter ist, die Tanten tot, und junge Männer ihren Weg kreuzen. Und doch findet sie schließlich einen Weg zu sich selbst.
(sti)