Stern 111
ERZÄHLUNGEN UND ROMANE
Informationen: , 24 €
Verlag: Suhrkamp
Rezension
Was wurde aus denen, die in der DDR eine Art „Ersatzleben“ geführt und ihre Sehnsucht fast vergessen haben, und was aus ihren Kindern, denen mit der Wende scheinbar alles möglich wurde? Lutz Seiler erzählt von Carl, der Dichter werden will und Maurer war. Als seine Eltern mit der ersten Grenzöffnung in den Westen gehen, macht er sich aus Gera auf nach Berlin. Zuflucht findet er in einer Hinterhofhöhle, die dafür auserkoren schien, seine „prekäre Existenz in reines poetisches Dasein zu verwandeln“. Wie schon in „Kruso“ erschafft Seiler eine anarchische Gemeinschaft, im erträumten Freiraum zwischen „Eiszeit und Kommune“, und auch Kruso und Edgar haben kurze Auftritte. Carl wird Teil dieses Rudels um einen seltsamen Hirten und die Ziege Dodo, schreibt ab und an ein Gedicht, arbeitet als Kellner, verliert eine große Liebe. Seiler beschwört die versunkene Zeit in den besetzten Häusern in Berlins Mitte, „große, versteinerte Schiffe“, die früher mal jüdisches Eigentum waren, in großartiger, sinnlicher Sprache und weitgespannten Bögen. Durch ihre Briefe ist der arme Poet immer verbunden mit der Wanderung seiner Eltern zurück zu ihren verlorenen Träumen. Sein Roman kreist um die Frage, was Freiheit für „Menschen in Aspik“ ist, was man zurücklassen muss, um zu beginnen – zu leben, zu dichten.
(lk)