Unerhörte Stimmen
ERZÄHLUNGEN UND ROMANE
Informationen: , 24 €
Verlag: Kein & Aber
Rezension
Diese Protagonistin will bei ihrer Geburt die Welt nicht betreten - und sie nach ihrem Tod nicht verlassen. "Um möglichst unbeschadet durchs Leben zu kommen, musste man stets darauf achten, im rechten Augenblick zu erscheinen und im rechten Augenblick wieder zu gehen", schreibt Elif Shafak. Aber ihrer Protagonistin Leila mangelt es an einem guten Zeitgefühl. Wir lernen sie erst kennen, als ihr nur noch Augenblicke zu leben bleiben. Knapp elf Minuten - und 260 Seiten - lang erinnert sich Leila. An die Geburt ihres Bruders, den Duft von Kümmel, die flüchtigen Küsse, den Tod ihrer großen Liebe. Und daran, wie sie selbst sich im Laufe der Jahre verändert hat. "Leyla Afife Kamile sollte sie sein, die Tugendhafte, die Ru?hmenswerte." Doch sie wurde zu der Prostituierten "Tequila Leila", die einem Mord zum Opfer fällt. Das Buch bekommt eine Wendung, als Leilas Gehirn die letzten Sauerstoffatome auszehrt und keine neuen nachkommen: Leila gibt das Wort ab - und ihre fünf Freunde kommen zum Zug. Sie wollen ihre verstorbene Freundin von dem "Friedhof der Geächteten" wegholen. Mit den zwei ungewohnten, aber gut gewählten Erzählperspektiven thematisiert Shafak soziale Ungleichheit.
(ang)