John Grisham: Das Urteil
John Grisham ist ein Phänomen. Seit Jahrzehnten verkauft der US-Autor schlecht geschriebene Drehbücher als Romane und landet damit Bestseller um Bestseller. Sein Kapital: geniale Ideen. Für „Das Urteil“ fielen ihm auch die nicht ein. Ein Erfolg wurde das Buch trotzdem.
Wer einmal einen Grisham gelesen hat, egal welchen seiner „Der“-„Die“-„Das“-Romane, weiß, dass es darin literarisch wenig, nein – bleiben wir bei der Wahrheit und nichts als der Wahrheit – rein gar nichts zu entdecken gibt. Der Stil des US-Bestsellerautors ist mit nüchtern und belanglos noch ausgesprochen charmant umschrieben. Angefangen mit Grishams erstem und vielleicht bestem Buch „Die Jury“ bestehen seine Justizthriller fast nur aus Gesprächen. Seiten-, ja kapitellang wird da gefragt, geantwortet, gemeint, betont, gelacht, geschmunzelt, geflüstert, gemurmelt, gezischt, gequiekt oder entgegnet, und die epische Fantasie des Autors beschränkt sich auf die mehr oder weniger originelle Auswahl redebezeichnender Verben. Die sporadischen, wohl unvermeidlichen Erzählpassagen klingen entsprechend lustlos: „Früh am Mittwochmorgen tranken Jake und Ozzie Kaffee im Büro des Sheriffs, während sie darauf warteten, dass Carl Lee duschte und sich anzog.“ Oder: „Carl Lee verspeiste Eier und Brötchen, während sein Anwalt schilderte, was ihn in Whitfield erwartete.“ Und weiter geht’s im Dialog.
Raffiniert klingt anders
Vielleicht wäre das halb so schlimm und man könnte verschmerzen, dass Grisham keinen Wortwitz, keinerlei Esprit entfaltet, weder Augen noch Gedanken schweifen lässt, sondern stumpf protokolliert, was seine Protagonisten besprechen, wäre das, was sie sagen, irgendwie raffiniert oder auch nur markant. Tatsächlich aber hört es sich so an: „,Hallo Jake, wie geht’s Ihnen?‘, fragte er freundlich. ‚Gut. Ja, gut. Wo sind Sie gewesen?‘ ‚Auf den Cayman-Inseln.‘ ‚Und womit haben Sie sich die Zeit vertrieben?‘ ‚Mit Rum, Dösen am Strand und einheimischen Mädchen.‘ ‚Klingt nach einer Menge Spaß. Warum sind Sie zurückgekehrt?‘ ‚Weil’s langweilig wurde.‘“ … Und das war noch eine der lustigeren Stellen!
Was bleibt, ist der Plot. Die besten Grisham-Romane sind im Grunde nichts anderes als ausufernde, schlecht sortierte Drehbücher mit außergewöhnlichem Potenzial. Sie zehren von einer packenden Idee und einem stabilen, stimmigen Handlungsgerüst. Das trifft auf „Die Jury“ zu, auf „Die Firma“ und etliche andere Grisham-Bücher. Aber längst nicht auf alle.
Als Grisham 1996 mit „Das Urteil“ seinen siebten Justizroman präsentierte, stand das Urteil über den Autor für viele längst fest: Er schreibt spannend, mitreißend, seine Bücher werden zu Bestsellern und früher oder später von Hollywood verfilmt. Zumindest das traf auf „Das Urteil“ zu. Eine Witwe verklagt darin die führenden US-Tabakkonzerne auf Schadensersatz in Millionenhöhe, weil ihr Mann an Lungenkrebs gestorben ist. Der schmutzige Kampf zwischen der Anklage und der Verteidigung beginnt schon bei der Auswahl der Jury. Es wird bestochen, bedroht, gelogen, getrickst.
Langweilig, abwegig, trivial
Soweit und so abstrakt klingt das ja durchaus interessant. Fast schon mechanisch klebten etliche Rezensenten dem Roman dann auch das Standardetikett „spannend“ auf den Buchrücken. Ackert man den „vielleicht spannendsten No-smoke-Schmöker aller Zeiten“ („Focus“) aber einmal von Anfang bis Ende durch, liegt der gegenteilige Schluss nahe: „Das Urteil“ ist wahrscheinlich einer der langweiligsten, abwegigsten und trivialsten Gerichtsromane, die je geschrieben wurden. Die Charaktere sind klischeehaft, konturlos und bleiben es, auch wenn Grisham sie, sobald sie weiblich und hübsch sind, fast zwanghaft in enge Jeans steckt. Die Handlung schleppt sich träge dahin; allein die Auswahl der Geschworenen zieht sich zäh wie Anti-Nikotin-Kaugummi über Dutzende Seiten hinweg. Und schon die Grundidee entpuppt sich als absurd. Da schmuggelt sich ein Feind der Tabakindustrie in die Jury und manipuliert mit plumpen Methoden seine Mitgeschworenen, den Richter und die Hintermänner der Verteidigung. Klar: Träumen darf man ja wohl noch. Aber das Ganze als hintergründig recherchierten Justizthriller eines Insiders zu verkaufen, ist schon ziemlich frech. Kann man dagegen eigentlich klagen?
John Grisham: Das Urteil. Übersetzt von Christel Wiemken. Heyne, 526 Seiten, 9,95 Euro