Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks
„Die Party bei den Jacks“ ist das letzte Werk des Schriftstellers Thomas Wolfe. Das erstmals ins Deutsche übersetzte Prosastück ist eine Gesellschaftssatire, die durch ihren fragmentarischen Charakter interessante Einblicke in das Schaffen des Autors gibt.
Es ist selten eine gute Idee, nachgelassene, fragmentarische Manuskripte herauszugeben. Meist handelt es sich um eine Vergewaltigung des Autors, und selbst wenn es sich um einen relativ kompletten Text handelt, so ahnt der Laie oft nicht, wie sehr sich selbst die Rohversion eines Meisterwerks noch von einem Meisterwerk unterscheidet. Die berühmtesten Ausnahmen bilden wohl die Romanfragmente Franz Kafkas, obwohl ich persönlich bis heute der Meinung bin, man hätte dem Wunsch des Autors nach Verbrennung seiner Hinterlassenschaften entsprechen müssen. Kein Mensch kann wissen, was daraus noch geworden wäre.
Thomas Wolfe hat meines Wissens keine derartige Anweisung hinterlassen und deswegen ist es in Ordnung, wenn man sein letztes Projekt mit dem Hinweis ediert, dass es sich um etwas Unvollendetes handelt, ein nach einfühlsamen Gutdünken erfolgtes Arrangement aus etlichen vorliegenden Textpassagen. Wenn dabei ein gutes Buch entsteht, wird sich kein Schriftsteller im Grab umdrehen und sein Text bekommt ein Recht, zu existieren.
Einmal Lektor spielen
„Die Party bei den Jacks“ ist ein lohnendes Buch. Da der Autor selbst noch eine gründliche Überarbeitung für notwendig hielt, kann man über einige Schwächen hinwegsehen, oder, wenn man kreativ sein will, den Lektor spielen und redundante Passagen, überflüssige Wortwiederholungen, ausschweifende Schilderungen rot anstreichen. Wobei man die deutsche Übersetzung von Susanne Höbel loben muss. Wie sie die Musikalität der Sprache Wolfes auch bei noch so elend langen Satzteilkaskaden einfängt und wiedergibt, ist bewundernswert. Die Party bei den Jacks sagt im Titel schon, worum es beinahe ausschließlich geht. Um das satirische, mikroskopisch präzise Abbild einer Gesellschaft von ungefähr fünfzig Menschen, die sich im Mai 1928, ein Jahr vor der großen Depression, im siebten Stock eines Upperclass-Wohnhauses in Manhattan feiern. Dass alle Personen im Text belegbare Vorbilder in der Wirklichkeit besitzen, kann uns heute eigentlich egal sein, es stärkt jedoch die Aura des Authentischen.
Hier schrieb jemand, der Einblick besaß. Und Liebe zu den Details, vor allem jenen der menschlichen Schwäche. Man spürt förmlich das labil Fassadenhafte dieser High Society, die keinen Blick für den nahenden Crash besitzt und in ihrer blasierten Wohlstandsblase Nabelschau hält. Viel passiert ja nicht. Als wolle der Autor das leichtfertige Vertändeln der Zeit demonstrieren. Das Wesenhafte der Handlung besteht nicht in seinem Plot, deswegen kann er hier Erwähnung finden, ohne zu viel zu verraten. Am Schluss bricht ein Brand aus, die Gäste flüchten auf die Straße, ausgerechnet zwei der wenigen Sympathieträger kommen ums Leben - aber das war es auch schon an Spektakulärem. Nach der Löschung kehrt man zurück auf einen letzten Drink. Nichts mehr wird je wieder so sein, wie es war. Oder nicht?
Eine ganz aparte Zumutung
Der Manesse-Verlag hat bewusst auf eine Gattungsbezeichnung verzichtet. Ist das ein Roman oder eine überdimensionierte Erzählung, die vielleicht im letzten Arbeitsschritt auf ein Drittel zusammengestrichen worden wäre? Man weiß es nicht. Der Reiz dieses Steinbruchs besteht nicht zuletzt auch darin, im Skizzenbuch eines bedeutenden Autors blättern zu dürfen, der sich mit diesem Stoff vorgenommen hatte, mal „etwas Proustsches“ zu machen. Dies ist ihm durchaus gelungen. Der in der wirklichen Welt meist ohnmächtige Autor wird im Paralleluniversum seines Buches zum Gott, oder wenigstens zum Strippenzieher in einer Marionettenmenagerie. Das hat etwas Eitles, Besserwisserisches, kann aber bezaubern, sobald die Figuren zu leben beginnen. An der Sprache Wolfes werden sich stets die Geister scheiden. Wer angesichts adjektivpraller Satzungetümer das Buch kopfschüttelnd zur Seite legt, sei gefragt, ob in der heutigen Zeit mit ihrem literarischen Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, die wuchernde Üppigkeit Wolfes nicht eine ganz aparte Zumutung darstellt.
Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks. Übersetzt von Susanne Höbel. Manesse, 352 Seiten, 24,95 Euro