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Kirsten Boie

Lesen Kinder heute weniger als früher?

Ich denke schon. Zum einen, weil das Alternativangebot so viel größer ist als früher. Zum anderen, weil Kinder heute früh morgens den Fernseher anmachen und gleich ein Kinderprogramm haben können. Wenn sie in die Schule kommen, haben sie durch das Fernsehen genau das erreicht, was früher Bücher erreicht haben: Sie haben eine Welt außerhalb ihrer eigenen kennen gelernt. Dieses Erlebnis haben Kinder heute durch den Fernseher auf eine ganz bequeme Weise. Zum Glück gibt es mittlerweile, gerade in bildungsnahen Schichten, ein wachsendes Bewusstsein von Eltern. Sie lesen wieder mehr vor, Kinder dürfen nur dosiert Fernsehen oder Videospielen. Andere haben dafür leider überhaupt kein Bewusstsein. Deren Kinder kommen in die Schule und haben vorher nie in Buch in der Hand gehabt. Diese Kinder können ja gar nicht wissen, das Lesen Spaß macht.

Daher auch ihr engagierter Einsatz für die Lesefähigkeit ...

Ja. Denn Kinder, die nicht richtig lesen können, haben in der Gesellschaft keine Chance. Es geht dabei nicht mal ums Abitur oder Studium. Sie können nicht mal einen richtigen Ausbildungsberuf lernen, weil sie die Berufsschule nicht schaffen. Schauen Sie sich mal die Lehrbücher für Berufsschulen an, da wird einiges verlangt. Ich unterstütze hier in Hamburg einige Leseförderungs-Projekte, mit denen wir mehrere Tausend Kinder erreichen.

  • „Kinder, die nicht richtig lesen können, haben in der Gesellschaft keine Chance.“

Können Kinder-Hörbücher dazu auch ihren Beitrag leisten?

Absolut. Hörbücher sind für mich eine Brücke, die den Bogen zur Lesefähigkeit schlagen kann. Solange Eltern das Hörbuch nicht als Abschiebemedium benutzen. Eltern sollten mit ihren Kindern Bücher angucken, damit die Kinder gemeinsam etwas mit ihnen machen und überdies das Buch als Gegenstand kennenlernen. Wenn sie parallel dazu noch viele Hörbücher hören, wäre das fantastisch. Auf diese Weise setzen sich Kinder intensiv mit Sprache auseinander und entwickeln Freude daran. Dann greifen sie auch von ganz alleine zu einem Buch.

Sie sprachen anfangs von Kinderbüchern, die Kindern gefallen sollen. Leider sind oft Werke dabei, die den Eltern - auch als Hörbuch - auf die Nerven gehen. Wie bewältigen Sie den Spagat, etwas zu schreiben, dass auch Eltern gerne vorlesen oder mithören?

Zum Glück gibt es viele Bücher, die Erwachsene und Kinder toll finden - zum Beispiel die Romane von Cornelia Funke oder Paul Maar, der wie kein anderer in Deutschland Kinderlyrik schreiben kann. Aber Sie haben Recht, dieser Anspruch ist nicht einfach zu erfüllen. Das fängt schon bei den unterschiedlichen Geschmäckern der Altersgruppen an - etwa wenn es um Humor geht. Das merke ich oft bei Lesungen: Es gibt Stellen, an denen Sechsjährige lachen, aber Neunjährige schon lange nicht mehr. Und die Neunjährigen lachen an Stellen, an denen Sechsjährige und Erwachsene nicht lachen. Und dann gibt's Stellen, an denen Erwachsene lachen, aber Kinder nicht. Aber da sind ja noch viele andere Dinge, die Kinder spannend, aber Erwachsene langweilig finden.

In "Alhambra" dürften es, so gesehen, die meisten Jugendlichen und Kinder cool finden, dass Sie Handys und "Google Earth" mit in die Handlung eingebaut haben ...

Das hat vielmehr damit zu tun, dass man bei einer Geschichte aus der Gegenwart darum heute nicht mehr herum kommt. Im Übrigen führt dieser technische Fortschritt auch dazu, dass bestimmte Arten von Literatur irgendwann obsolet werden. Das habe ich beim Schreiben meines Romans "Skogland" sehr zu spüren bekommen. Wie sollte ich es hinkriegen, dass die 14-jährige Heldin auf keinen Fall Kontakt zur Außenwelt aufnehmen kann, obwohl sie ein Handy hat? Jede 14-jährige hat heute schließlich ein Handy. Plötzlich tauchen bei Geschichten aus der Gegenwart ganz neue Probleme auf - komplette Spannungsbögen, die früher ohne Handys, SMS, MMS und das Internet noch möglich waren, brechen auf einmal weg. Gleichzeitig bieten sie neue Möglichkeiten und verändern so auch die Literatur.
 

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