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Überschätzte Bücher: Stefan Volk (smv)

Henry Miller: Sexus

Vom Skandal zum Kulturerbe: Henry Millers „Sexus“ hat einen gewaltigen Wandel hinter sich. Liest man das Buch heute, ist es nicht die radikale sexuelle Offenheit, die unangenehm aufstößt, sondern wie humorlos und selbstzufrieden Miller diese zur Schau trägt.

Worum es geht, ist klar. Der Titel des Buches verrät es, mehr noch aber der Name des Autors. Henry Miller steht in der US-Literatur beispielgebend für schonungslose Sexdarstellungen. So was hat sich vor ihm kaum einer getraut. Aber nicht nur wegen seiner vulgären Sprache eckte Miller an, sondern vor allem auch, weil er seine „Mösen“, „Miezen“, „Titten“, „Schwänze“ und „Pints“ als gezielte Provokationen und Blasphemien gegen eine prüde und bigotte US-Gesellschaft in Stellung brachte. „Wir begingen Ehebruch, auf jene leidenschaftliche, blutschänderische Art, von der die Bibel gerne spricht. (…) Aber die Art und Weise, wie diese geilen alten Patriarchen ihre jungen und alten Frauen, ihre Schwestern, Kühe und Schafe hernahmen, zeugte von großer Erfahrung“, schrieb er etwa in „Sexus“.

Es ist immer wieder der gleiche krude Mix aus Obszönität, Aufrichtigkeit, autobiografischem Gossenjargon, surrealistischen Assoziationsketten, prätentiösen politisch-philosophischen Abhandlungen und Kulturdefätismus, den Miller in seinen Romanen variiert. Es sei ihm unbenommen, dass er sich damit einen Platz in der Geschichte der Weltliteratur verdient hat. Millers literarische Unverschämtheiten kratzten an verkrusteten Strukturen und beeinflussten etwa die Autoren der Beat-Generation. Trotzdem: Als „Sexus“, das die „New York Times“ später zum „obszönsten seiner Bücher“ krönte, 1949, fünfzehn Jahre nach „Wendekreis des Krebses“, erschien, hatte der Skandal schon Methode. Heute ist die Aufregung um Millers Werke vor allem von historischem Interesse.

„Wuff! Wuff wuff wuff!“

Aber ignorieren wir für einen Moment die literatur- und kulturgeschichtliche Bedeutung Millers und wischen die intellektuelle Patina einmal beiseite, mit der er in etlichen zähen und ziemlich klugscheißerischen Passagen seinen Roman überzieht, was bleibt von „Sexus“ dann noch übrig? Eine Geschichte? Allenfalls am Rande. Da ist der Ich-Erzähler, dieser dauergeile, schnodderige Henry, der seine Frau Maude verlässt, weil er sich in eine andere, Mona, verliebt, aber danach den Körper seiner Ex, ihre „Möse“ noch mal ganz neu für sich entdeckt. Dieser ganz und gar unsympathische aber immerhin unverstellte Macho, der sich durch die Weltgeschichte vögelt, bis er am Ende vor die Hunde geht: „Wuff! Wuff wuff wuff!“ Das war’s.

Was bleibt sonst? Ein literarischer Tanz womöglich; „archaisch, primitiv, obszön, nur darauf gerichtet, die niederen Triebe (…) zu erregen“? Erotische Literatur? Die „Deutsche Grammophon“ hat den Hörbuch-Versuch gewagt, „Sexus“ zu einem Kopulationsreigen zusammenzukürzen und von der großartigen Alexandra Kamp vorlesen zu lassen. Es half nichts. Miller schreibt über Sex erfreulich und stellenweise durchaus erregend unverblümt, aber so selbstverliebt, prahlerisch und ironiefrei, dass es auf Dauer vor allem langweilt. „,Steck ihn rein, steck ihn rein!‘, flehte sie mit geifernden Lippen“, ist da auf Seite 329 über Maude zu lesen, 271 Seiten später heißt es über Mona: „,Schnell, schnell!‘, bettelte sie. ‚Steck ihn ganz tief hinein.‘“ Permanent wetteifern die Frauen darum, von Henry penetriert zu werden oder sie winden sich in multiplen Orgasmen, die er ihnen bescherte, indem er sein Glied „wie einen Dämon“ in ihnen „hinauf, seitwärts, hinunter, hinein, wieder heraus, tief eintauchend, sich aufbäumend, stoßend und schnaubend herumfuhrwerken ließ.“ Als spielerische Männerfantasie mag das durchgehen. Warum nicht? Aber in „Sexus“ klingt das so wichtigtuerisch, bierernst und selbstzufrieden, als wolle Miller der Welt ein für allemal ins Stammbuch schreiben, was für ein toller Hengst er war.

Rebellisch? Selbetverliebt, verlogen!

Was am Ende also bleibt, ist ein unangenehmes, ödes, redundantes Buch, das mit dem rebellischen Gestus, hinter dem es seine Selbstverliebtheit versteckt, auch selbst wieder verlogen ist. Man muss „Sexus“ nicht lesen, aber trotzdem ist es gut, dass es geschrieben wurde. Denn ohne Miller hätte Charles Bukowski vielleicht nie beweisen können, dass man aus vulgären Wörtern und sexistischen Bildern auch eine fragile, zärtliche und melancholische Sprache formen kann, voller Sehnsucht, voller Selbstironie und voller Poesie.

Henry Miller: Sexus. rororo, 688 Seiten, 9,90 Euro. Auch als E-Book erhältlich

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