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Roger Willemsen

Gemäß Booklet haben sie auch zwei Schildkröten. Angenommen, das ist gelogen: Hätten Sie gerne eine Reptilie?

Das einzige Tier meines Lebens war eine Schildkröte. Sie lief mir vom griechischen Festland aus zu, und ich nannte sie nach meiner Urgroßmutter Ida, baute ihr ein Terrarium und gab ihr Kopfsalat. Doch diese Drecksau hatte nichts Wichtigeres zu tun, als Tag und Nacht an ihrer eigenen Befreiung zu arbeiten. Was sie mir in gewisser Hinsicht noch sympathischer gemacht hat. Sie brach aus – jetzt kommen wir zur Lüge – und ich vergoss bitterliche Tränen. Eines Tages kommt also mein Vater - der starb als ich 15 war, weshalb ich immer eine sehr sentimentale Bindung an ihn hatte - und erklärt mir, dass Ida zurückgekehrt sei. Erst zwei Tage später merkte ich, dass Ida nicht meine Ida war. Aber ich fand die Geste meines Vaters, mich mit einer untergeschobenen Schildkröte zu belügen, so gut und so reizend, dass sie mir dadurch wichtig geworden ist.

Die Lüge?

Ja. Und die Schildkröte.

Und dennoch haben Sie in Ihrer Auswahl zu den Hörbüchern von „Brehms Tierleben“ die Schildkröte außen vor gelassen?

Ja, trotz Ida. Ich musste meine Leidenschaft auf wenige Tiere beschränken. Es gibt aus dem zehnbändigen Werk eine Auswahl von Tieren, die vorkommen müssen: Tiger, Löwe, Krokodil, Hund und Stubenfliege. Und ein paar bizarre Tiere wie das Zuckereichhörnchen.

Aber eignet sich ein Nachschlagewerk wie „Brehms Tierleben“ überhaupt als Hörbuch?

Ich gebe ihnen eine – ehrliche (er grinst) – Antwort. Ich hatte zunächst abgelehnt, „Brehms Tierleben“ einzulesen. Ich glaubte, das hätte Hanns Zischler bereits getan. Dann stellte ich fest, dass er nur die Vögel gelesen hatte – freie Bahn also. Aber vor allen Dingen ist Brehm nur äußerlich ein Nachschlagewerk, im Kern ist es ein literarisches Massiv und besitzt eine so wunderbare, bizarre, manchmal geradezu sportiv-hypotaktisch angelegte Satzstruktur, dass Sätze kleine Dramen werden.

Sportiv-hypotaktisch?

Ja, man hat das Gefühl, seine Sätze spielen gleichzeitig auf sechs verschiedenen Ebenen, und man muss immer den Fluchtpunkt suchen – was das Lesen sehr anspruchsvoll macht. Sie müssen immer wissen, wie da hinten, in zwei Kilometer Entfernung, der Satz endet. Und dann gibt es Denkmalsätze wie: „Der erste Eindruck, den das Walross auf den Betrachter macht, ist kein günstiger.“

Wollte Brehm humorvoll schreiben oder wirkt er heute nur unfreiwillig komisch?

Eine gute Frage. Ich glaube, dass er zum Teil die Komik bewusst eingebaut hat. Das merkt man wenn er berichtet, dass er sich vor Lachen kaum halten konnte. Er hat Humor gehabt und seinen immensen Wortschatz mit Adjektiven auch zu humoristischen Akzenten genutzt.

Ich finde die Präzision seiner Beschreibungen, etwa des Bewegungsablaufs eines Kängurus, faszinierend.

Absolut. Brehm hat als einer der allerersten die Tiere nicht als Präparat oder als Exponat im Zoo beschrieben. Er ist in die Wildbahn gereist. Ich finde, man hört der Prosa die Lebendigkeit, die das Tier in der Wildnis gehabt, an. Auch die Tatsache, dass er die Wissenschaft nicht als einen kalten Apparat von rationalen Daten sah. Er hat gesagt, etwas zu wissen, heiße auch, es fühlen zu können. Wenn ich also meinen Haushund nur weiß, habe ich keine Ahnung, warum er schützenswert sein soll. Wenn ich mich aber in die Seele des Hundes hineinfühle und seinen Charakter erkenne, dann bin ich affektiv berührt und eine Liebe zur Erhaltung der Schöpfung entwickelt sich.

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