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Portrait: Margarete von Schwarzkopf (mvs)

Patricia Cornwell und Kathy Reichs

Die Pionierinnen der Totenleser

Thriller, in denen Gerichtsmediziner, Pathologen und Forensiker ermitteln, sind die Kassenschlager der Spannungsliteratur. Patricia Cornwell und Kathy Reichs gehören zu den ersten, die im Totenreich ermitteln ließen. Im BÜCHER-Gespräch erkundet Margarete von Schwarzkopf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der weltweit erfolgreichen Bestsellerautorinnen.

Die Heldinnen von Patricia Cornwell und Kathy Reichs agieren seit den neunziger Jahren in einer Männerdomäne: der Pathologie. Sie trugen beide dazu bei, dass sich der Blick heute in
Literatur und Film häufiger auf die Arbeit dieser Ermittler im Hintergrund richtet. Kay Scarpetta, Patricia Cornwells Heldin, ist im klassischen Sinn Gerichtsmedizinerin, wenn auch mit besonderen Aufgaben. Kathy Reichs’ Figur Temprance Brennan hat sich als „forensische Anthropologin“ einen Namen gemacht. Die eine untersucht Leichen, die andere vor allem Knochen.

Patricia Cornwell wurde 1956 in Miami geboren. Auf den ersten Blick wirkt die schmale Blondine kühl und distanziert, doch das ist nur das Schutzschild der weltweit erfolgreichen Autorin von Kriminalromanen, Kochbüchern und einem Sachbuch über Jack the Ripper. Dass sie gelegentlich auf Abstand geht, habe mit eigenen Erfahrungen zu tun, sagt sie. Allzu oft haben sich neugierige Journalisten in ihr Privatleben gedrängt oder sogar Stalker sie verfolgt. Es wundert nicht, wenn die Autorin mit Bodyguards reist und in Hotels unter ihrem
Mädchennamen eincheckt. „Ich liebe es zwar, für meine Bücher gründlich zu recherchieren,“ – den Pilotenschein für Hubschrauber habe sie parallel zu ihrer Romanfigur Lucy, Kays Nichte, gemacht – „aber auf manche Erfahrungen verzichte ich gerne.“ Und dazu zählen eindeutig Stalker!

Verbrechen verstehen – nicht entschuldigen!

Patricia Cornwells erster Welterfolg, der 1990 unter dem deutschen Titel „Mord am Samstagmorgen – Ein Fall für Kay Scarpetta“ erschien, war das Resultat von jahrelanger Recherche und ersten literarischen Gehversuchen, in denen die später so berühmte Gerichtsmedizinerin erst einmal als Nebenfigur auftauchte. „Ich habe lange um diese Figur gerungen, und die Idee von einer weiblichen Pathologin im Mittelpunkt meiner Romane musste viele Hindernisse überwinden“, sagt Cornwall heute. Auf die Frage, ob Kay ihr Alter Ego ist, meint die Autorin: „Eigentlich bin ich jede meiner Figuren. Wenn ich mich nicht in meine Charaktere hineinversetze, kann ich ihnen nicht gerecht werden. Das gilt auch für die Verbrecher, deren Motive ich zu verstehen versuche. Das heißt aber nicht, dass ich ihre Taten entschuldige! Wahrscheinlich ähnelt mir letztlich aber Lucy mehr als Kay“.

In Cornwells 18. Roman „Bastard“, dessen Fortsetzung „Red Mist“ bald in den USA erscheinen wird, erzählt Kay Scarpetta aus der Ich-Perspektive von einem seltsamen Mordfall, der schließlich auch Kays Kollegenkreis tangiert. „Es ging mir darum, den Fall eines jungen Mannes, der mit einer sehr ungewöhnlichen Waffe ermordet wird, aus Kays Sicht zu schildern. Der Leser mag dabei oft in seinen eigenen Erkenntnissen ein Stückchen weiter sein als Kay. Ich habe diesen dramatischen Trick ja schon mehrmals in meinen Büchern angewandt und benutze ihn immer gerne, wenn Kay privat stark involviert ist“, sagt sie. In dem neuen Roman geht es um unheimliche Waffen, um Soldaten, die noch als Tote wenig
ethischen Zwecken dienen, und um ein Netz aus Lügen und Verrat, dem Kay kaum mehr entkommen kann.

Seit dem 11. September 2001 sind Recherchen schwieriger

Für die Autoren in den USA hat sich allerdings in den letzten Jahren etwas verändert: „Als Autor bezieht man ja direkt oder indirekt aus der Atmosphäre seines Landes, den gesellschaftlichen Veränderungen und den politischen Umbrüchen Anregungen für Geschichten. Da kann man solchen umwälzenden Ereignissen wie dem 11. September nicht entkommen oder sich den Folgen entziehen“, erzählt Patricia Cornwell. „Ein Aspekt ist, dass ich seitdem nicht mehr so einfach für meine Bücher recherchieren kann wie früher. Es war nie ein Problem hinter die Kulissen zu schauen – weder beim FBI, den gerichtsmedizinischen Instituten, der Polizei noch bei Institutionen, die mit der Armee oder anderen offiziellen Einrichtungen zu tun haben. Doch heute herrscht überall Misstrauen.“ Heute muss sie sich öfter auf Berichte und Erfahrungen von Gewährsleuten stützen. „Gut, dass ich schon vor dem 11. September 2001 auf vielen Gebieten etliche Informationen gesammelt hatte“, sagt sie erleichtert. „Trotzdem muss ich im wissenschaftlichen Bereich oder in der Darstellung von Kays Job ständig am Ball bleiben.“

Patricia Cornwells Kollegin Kathy Reichs hat es da leichter. Denn die Autorin, geboren 1950 in Chicago und inzwischen mit 14 Romanen über die forensische Anthropologin Temprance Brennan weltweit erfolgreich – der jüngste Roman „Fahr zur Hölle“ ist in diesem Herbst erschienen – übt selbst den Beruf ihrer Hauptfigur „Tempe“ seit vielen Jahren aus, steckt also in der Materie. „Nach vielen Essays und wissenschaftlichen Berichten über meine Arbeit kam mir irgendwann die Idee, dass man aus diesen Erlebnissen auch auf Tatsachen basierende, aber natürlich fiktiv abgewandelte Geschichten machen könnte“, sagt die zierliche blonde Frau, die seit vierzig Jahren verheiratet und schon Großmutter ist. 1997 erschien „Tote lügen nicht“ (Dejá dead), und bald hatte Tempe Brennan, die in Montreal und Charlotte arbeitet, einen großen Fankreis. Immer wieder wird Kathy Reichs gefragt, was denn eine forensische Anthropologin vom klassischen Gerichtsmediziner unterscheidet. Sie selbst kam von der Archäologie zu diesem Fach. „Immer wieder legte man mir Knochen vor und fragte, ob sie von Toten aus der Vergangenheit oder von Mordopfern aus der Gegenwart stammen. Da habe ich dann Medizin studiert und beides miteinander verbunden – die alten Knochen und die moderne Wissenschaft“.

Eine Romanreihe, eine Fernsehserie, ein Berufsleben

Eine forensische Anthropologin kümmert sich im Gegensatz zu den „herkömmlichen“ Pathologen vor allem um Knochen und versucht so noch Hinweise über die Identität von Opfern
herausfinden, wenn alles andere längst verfallen oder entsorgt worden ist – von der Natur oder vom Täter. So wie Tempe in den Büchern und wie Tempe im Fernsehen. Denn unter dem Titel „Bones – Die Knochenjägerin“ ist die energische Wissenschaftlerin mit dem detektivischen Spürsinn schon längst ein Fernsehstar geworden. Allerdings mit einigen Unterschieden zur Protagonistin des Buches: „Fast alle Fälle spielen in Washington am Smithonian Institute und nicht wie in meinen Romanen in Charlotte oder Montreal. In Leben der Fernseh-Tempe gibt es keine Beziehung, kein eigenes Kind und kaum Zeit für Hobbys“, meint Kathy Reichs. Und vor allem reist die TV-Tempe nicht so viel herum wie in den Büchern, in denen sie an die entlegensten Tatorte gerufen wird. „Alle Orte, an denen Tempe weltweit ermittelt, kenne ich aus eigener Anschauung. Da ja viel Fiktives in meine Geschichten einfließt, auch um Personen zu schützen, muss alles andere stimmen.“

Das hat sie mit Patricia Cornwell gemein: Recherche ist wichtig, nur sollte der Leser nicht unter der Flut von Details zusammenbrechen. Trotzdem ist gerade diesen Ermittlungsmethoden eigen, dass der Leser einen Einblick bekommt in teils komplexe wissenschaftliche Vorgänge, verpackt in dichte Spannung. Und noch eines verbindet die beiden Autorinnen: Bei beiden beginnt die Arbeit an einem Roman mit einem Bild, das sie vor Augen haben. Daraus entsteht allmählich die Handlung. Die Identität des Mörders und der genaue Plot müssen anfangs noch nicht klar sein. „Das Buch entsteht beim Schreiben“, sagt Kathy Reichs in Abwandlung des Satzes: „Learning by Doing“. Ihre Kollegin Patricia Cornwell weiß zwar, wie das Buch ungefähr enden wird, doch manchmal entkommen die Bösen und müssen dann noch einmal auftauchen. So auch bei „Bastard“. Dieser Fall wird in „Red Mist“ weitergehen.

Angelina Jolie als Kay Scarpetta?

Auch Patricia Cornwells Figuren werden demnächst für die Leinwand adaptiert. Hollywood plant einen Kinofilm, der auf den Charakteren von Kay, ihrer Nichte Lucy, Pete Marino, dem eigenwilligen, übergewichtigen Detektiv, und von Benton basiert, dem Ehemann von Kay, der jahrelang als tot galt. Doch dann ließ Patricia Cornwell ihn zu ihrer eigenen Überraschung wieder auferstehen. „Mein Irrtum, wie sich zeigte.“ Patricias Wunschkandidatin für die Rolle der Kay ist Angelina Jolie. Sie lacht. „Aber Hollywood hat eine eigene Zeitrechnung. Da schreibe ich während des Wartens auf den Drehstart lieber weiter Romane, die von meinem Traum erzählen, dass das Gute am Ende trotz allem triumphiert.“

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