Jump to Navigation
Reportage: Christian Blees (cb)

Hörspiel „Krieg der Welten“

Der Mars macht mobil

Was kann es für einen Hörspiel-Macher Frustrierenderes geben, als zu wissen, dass einem so gut wie niemand zuhört? So paradox es heute klingen mag: Genau dies war der eigentliche Grund dafür, dass das Rundfunk-Drama "War of the worlds" bis heute als berühmtester Vertreter seines Genres gilt.

Regisseur Orson Welles vom "Mercury Theatre On The Air" war im Herbst 1938 wirklich nicht zu beneiden: Seit drei Monaten schon produzierte er mit einer Handvoll engagierter Schauspieler für das Network CBS allwöchentlich ein hochwertiges Hörspiel nach dem anderen. Und obwohl es sich dabei meistens um Radioadaptionen berühmter literarischer Vorlagen handelte, blieben die Einschaltquoten jeweils erschütternd niedrig. Schuld daran war in erster Linie das Konkurrenzprogramm, welches parallel zum "Mercury Theater" auf dem Network NBC ausgestrahlt wurde: Die "Edgar Bergen and Charlie McCarthy Show", in der sich ein komödiantischer Bauchredner (!) mit einer Stoffpuppe vor Live-Publikum witzige Rededuelle lieferte. Sie gehörte seinerzeit in fast allen amerikanischen Familien zum festen Bestandteil der Sonntagabend-Unterhaltung.

Am Sonntag, dem 30. Oktober, gegen 20.15 Uhr, sollten die frustrierenden Zeiten für Orson Welles endlich ein für alle Mal vorbei sein. Zu diesem Zeitpunkt kündigte Edgar Bergen auf NBC nämlich eine erste musikalische Unterbrechung seiner eigenen Show an. Was mittlerweile für die meisten TV-Konsumenten zur Routine geworden ist, praktizierten damals viele Amerikaner beim Radiohören: Sie "zappten" zu einem anderen Sender, um der drohenden Gesangsdarbietung zu entgehen. Zwischen sechs und neun Millionen von ihnen, so wird geschätzt, landeten auf diese Weise in dem von CBS ausgestrahlten Hörspiel "Krieg der Welten". Da Orson Welles die Romanvorlage an diesem Abend in Form einer fiktiven Live-Radioreportage präsentierte, war die Wirkung auf das nichts ahnende Radiopublikum verheerend - zumal die "Zapper" just zu einem Zeitpunkt umschalteten, als das erste Raumschiff der Invasoren vom Mars gerade gelandet war.

Viele Hörer riefen daraufhin hysterisch per Telefon Freunde und Verwandte herbei, um gemeinsam mit diesen auf das vermeintliche Ende zu warten, andere wollten sich gleich das Leben nehmen. Hospitäler mussten mehrere Dutzend mit Schockzuständen oder Herzattacken eingelieferte Personen behandeln. Bei zahlreichen Zeitungen sowie all jenen lokalen Stationen, die das Radio-Drama landesweit ausstrahlten, liefen die Telefone heiß. In der Kleinstadt Concrete im Bundesstaat Washington unterstützte der Zufall das Geschehen auf äußerst makabre Weise: Just in dem Moment, als die Marsianer im Hörspiel Kommunikationsverbindungen und die Energieversorgung der Erdbewohner kappten, gab es im Ort einen Stromausfall. Abgeschnitten von jeglicher weiterer Information, ergriffen die Bürger des kleinen Städtchens voller Panik die Flucht. Ein leitender Mitarbeiter der Warner Brothers Studios erzählte hinterher, wie er den historischen Abend erlebte: "Meine Frau und ich fuhren im Auto durch einen Wald im Norden Kaliforniens, als wir die Rundfunkübertragung hörten. Erst ging es nur um New Jersey, aber plötzlich landeten sie überall, auch in Kalifornien. Es gab kein Entrinnen. Wir wollten nur noch schnell zurück nach Los Angeles, um bei unseren Kindern zu sein, wenn es passierte. Doch mitten im Wald ging uns das Benzin aus. Wir konnten nichts mehr tun. Wir saßen einfach da, Händchen haltend, und warteten darauf, dass die Marsmonster über den Baumwipfeln erscheinen würden. Als Orson Welles übers Radio verkündete, das Ganze sei lediglich ein Scherz gewesen, kam es uns vor, als seien wir auf dem Weg in die Todeszelle zurückgerufen worden."

  • „,Monster vom Mars‘ verursachen jede Menge Ärger“, titelte der „Allentown Morning“ am Tag nach der Radioübertragung. Ein Bericht hat die Überschrift: „Hysterische Frau versucht Selbstmord, um nicht bei dem Luftangriff zu sterben“

Bei der CBS dagegen, wo das Hörspiel durch Schauspieler vor den Mikrofonen live inszeniert wurde, erfuhren die Verantwortlichen zunächst nicht, was sich außerhalb des Studios ereignete. Erst auf dem Höhepunkt der vermeintlichen Krise, als Kenny Delmar die Stimme Theodore Roosevelts imitierte und in seiner Rolle als "Sekretär des Inneren" eine verzweifelte Rede an das amerikanische Volk hielt, klingelte im Kontrollraum das Telefon. Co-Produzent Joe Houseman erinnert sich: "Davidson Taylor, der für die CBS unsere Aufführung überwachte, verschwand daraufhin für kurze Zeit und kam gerade wieder, als Newark sowie New Jersey in Rauchschwaden gehüllt waren und die Marsbewohner kurz davor standen, den Hudson River in Richtung New York zu überqueren. Aus unserer Sicht lief es prima - wie prima es tatsächlich lief, hatte Davidson gerade außerhalb des Studios erfahren." So kam es, dass Houseman und Orson Welles nach Ende der Sendung von der Polizei abgeführt und verhört wurden.

Howard Cantril von der Universität Princeton schilderte 1940 in einer wissenschaftlichen Studie die politischen und gesellschaftlichen Begleitumstände, die eine derartige Massenreaktion überhaupt erst ermöglicht hatten: "Wenige Wochen vor der Rundfunkübertragung hatten Millionen von Amerikanern stets gebannt vor ihren Geräten gesessen und sich über die bevorstehende Kriegsgefahr in Europa informiert Zu jeder Tages- und Nachtzeit unterbrachen die Sender ihr laufendes Programm, um den neuesten Stand der Dinge mitzuteilen. Sowohl die Darstellungsform als auch der Inhalt des Hörspiels passten insofern hervorragend zu dem allgemeinen Gemütszustand des Volkes, der sich aus den Ereignissen der Vorwochen ergeben hatte." Zudem hatten in einer Meinungsumfrage immerhin 50 Prozent der Befragten kurz zuvor erklärt, dem Rundfunk als Informationsvermittler "voll und ganz" zu vertrauen. "Ich war mir sicher, dass es die Deutschen waren, die uns alle vergasen wollten", schilderte ein Hörer in Cantrils Untersuchung seinen Eindruck. "Als der Ansager dauernd von Marsianern sprach, dachte ich, er sei ganz einfach zu blöd um zu kapieren, dass das Ganze von Hitler angezettelt worden war." Nicht ganz so glimpflich davon wie seinerzeit Orson Welles kamen übrigens einige Jahre später die Verantwortlichen der südamerikanischen Rundfunkstation "Radio Quito". 1949 strahlte der Sender eine eigene Fassung des "Krieg der Welten" aus, und erneut ergriffen die Menschen die Flucht. Als die völlig überraschten Radiomacher noch während der Sendung davon erfuhren und ihre Hörer zu beruhigen versuchten, war das Chaos perfekt. Die allgemeine Angst schlug spontan in Wut um, so dass die Polizei Panzer und Tränengas einsetzen musste, um die aufgebrachte Menge im Zaum zu halten. Das Sendegebäude ging in Flammen auf, bei den Unruhen wurden 15 Personen verletzt und ebenso viele getötet.

Wer sucht, findet das Original gratis zum Download im Internet, zum Beispiel unter http://sounds.mercurytheatre.info/mercury/381030.mp3

Weitere Hörbücher von Herbert George Wells

Themenwelten

Senioren, Greise, Silver Surfer

Senioren, Greise, Silver Surfer

Alte Menschen in der Literatur

Vom Eise befreit

Vom Eise befreit

Frühlingsliteratur

Über das Denken

Philosophie für Kinder

Von Geburt an Philosophen

Wer sind die anderen?

Afrika

Der so genannte dunkle Kontinent

Familiengeschichten

Vater, Mutter, Kind, Krieg

Familiengeschichten

Wirtschaftskrisenwerke

Wirtschaftskrisenwerke

Über Gier und Risiko