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Im neuen Sprachgewand

Botschaft aus Babel

70 Jahre nach dem Tod eines Autors erlischt das Urheberrecht auf seine Werke. Ist es ein Klassiker, wird eifrig neu übersetzt. Aber ist neu tatsächlich immer besser?


Ein Artikel aus BÜCHERmagazin 2/2016 von Ina Pfitzner
 
Eigentlich sollen ja Übersetzungen nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das verunsichert sonst die Leser, meinen manche Lektoren, vor allem bei Genreliteratur. Doch bei den großen Namen ist das inzwischen anders. Da wird mit Neuübersetzungen sogar geworben. Doch diese lohnen sich für den Verlag nur bei wirklichen Klassikern und Kultautoren: Shakespeare, Tolstoi, Chandler …
Niemand wird so viel übersetzt wie der beliebteste deutsche Bühnenautor – Shakespeare. Das geht seit mehr als 200 Jahren so, und es ist kein Ende abzusehen. Viele der Übersetzungen sind wirklich gut und bühnentauglich. Doch um die Fassungen eines Shakespeare-Übersetzers kommt man nicht drum herum, weil sie nämlich selbst Klassiker sind – die von August Wilhelm Schlegel. Und auch wenn diese rhythmisch haken und voller Verständnisfehler sein mögen, so sind sie es doch, die uns im Ohr klingen. Dass trotzdem immer weiter übersetzt wird, und nicht nur Shakespeare, hat verschiedene Gründe. 
Der meist genannte: Übersetzungen veralten. Sie seien mehr in ihrer Zeit verhaftet als das Original, heißt es, oder in ihnen kristallisiere sich der Erkenntnisstand ihrer Entstehungszeit, während die Originale immer wieder neu gelesen würden. Manchmal will man auch Fehler korrigieren oder dem Original formal und sprachlich besser gerecht werden. Vielleicht will ein Verlag, der die Rechte für einen Bestseller innehat, diesen noch einmal auflegen und ihm einen neuen Erfolg bescheren. Oder kurz vor dem Auslaufen der Urheberrechte noch eine Übersetzung vorlegen, gegen die andere nicht so einfach ankommen. Denn dann gibt es manchmal wahre Explosionen: Von „Der große Gatsby“ erschienen allein 2011 und 2012 vier neue Fassungen, die sich an manchen Stellen lesen, als vermieden sie krampfhaft die Formulierungen der Kollegen. Für mich die lesbarste, genauste und dabei noch knappste bleibt die von Bettina Abarbanell 2006.
2015 war das Jahr des kleinen Prinzen, dessen Autor Antoine de Saint-Exupéry 2014 seinen 70. Todestag hatte. Gegen die klassische, verträumte Übersetzung von Grete und Josef Leitgeb von 1950 und eine von Elisabeth Edl von 2009 treten mindestens fünf neue Versionen an, außerdem Hörbücher, Sonderausgaben, neu illustrierte Werke. Ulrich Bossier übersetzt eng am Original und entschlackt, der Schweizer Autor Peter Stamm schafft ein zeitgenössisches Kinderbuch und Hans Magnus Enzensbergers Version hat Witz und Charme. Und doch darf man an Sätzen wie: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast“ und „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ eigentlich nicht mehr rühren. Oder? „Man begreift nichts, wenn das Herz nicht dabei ist. Das, worauf es ankommt, ist mit bloßem Auge nicht zu sehen“ steht bei Enzensberger. „Der kleine Prinz“ ist neben der Bibel und dem Koran das meist gedruckte Buch der Welt, übersetzt in 270 Sprachen und Dialekte.
Charlotte Brontës Frauenroman „Jane Eyre“ ist sicher eines der Bücher mit den meisten deutschen Übersetzungen, etwa 30 dürften es jetzt sein. Die erste, fast interlineare Fassung von Ernst Susemihl ist schon von 1848. Wenn jetzt die Neuübersetzung von Melanie Walz bei Insel erscheint, dann lässt sich Manesse nicht lumpen und schiebt die „genaue, sorgfältig ausbalancierte“ Übersetzung von Andrea Ott aus dem Jahr 2001 in einer Jubiläumsausgabe zum 200. Geburtstag der Autorin nach. Beide reihen sich ein in den Wettstreit der guten Übersetzungen. Melanie Walz’ „Jane Eyre“ liest sich luftig und leicht und trägt doch dem 19. Jahrhundert Rechnung. Aber auch die anderen lesen sich jede auf ihre Weise gut. 
Und doch beobachte ich einen Trend: Auch unter den Übersetzern, so scheint es mir, kristallisieren sich jetzt Klassiker heraus, die ein eigenes Profil haben und immer wieder von sich reden machen. Noch stehen sie in zweiter Reihe hinter den Autoren, aber vielleicht ändert sich das ja bald. Vielleicht warten ja dann eines Tages die Leserinnen und Leser ungeduldig auf das neue Buch von Melanie Walz, Andrea Ott oder Bettina Abarbanell.
 
Ina Pfitzner ist Übersetzerin und hat in Louisiana gelebt und promoviert. Sie übersetzt Sachbücher, Memoiren, Comics sowie für den National Geographic.

Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz
Übersetzt von Hans Magnus Enzensberger, dtv, 128 Seiten, 5,95 Euro
Übersetzt von Peter Stamm, S. Fischer, 144 Seiten, 8 Euro
Übersetzt von Ulrich Bossier, Reclam, 112 Seiten, 3,80 Euro
 
Charlotte Brontë: Jane Eyre
Übersetzt von Melanie Walz, Insel, 652 Seiten, 29,95 Euro
Übersetzt von Andrea Ott, Manesse, 608 Seiten, 24,95 Euro

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