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Die Schönsten Liebesromane: Stefan Volk (smv)

Jenseits der Schützengräben

Erich Maria Remarque: Drei Kameraden

Hört man „Remarque“, denkt man sofort an Schützengräben, Trommelfeuer, Stellungskrieg. Es sei denn, man hat gerade „Drei Kameraden“ gelesen. Dann nämlich sind es tiefe Freundschaften und eine wunderbare, zärtliche, schüchterne und zugleich überwältigende Liebe, die einem beim Namen Erich Maria Remarque in den Sinn kommen.

Auf den ersten Blick ist Robby, der Ich-Erzähler des Romans, kein Typ, den man für einen einfühlsamen Liebhaber hält. Im Berlin der zwanziger Jahre lebt er ein Leben wie aus einer Bukowski-Story. Tagsüber bastelt er mit zwei Kriegsgefährten, Köster und Lenz, in einer Autowerkstatt an Motoren herum, abends hängt er mit den Huren im Café International ab und säuft; mit Vorliebe Rum. Er besucht Pferde- oder Autorennen und schreckt auch vor Prügeleien nicht zurück. Hinter seinem groben, kantigen Auftreten aber verbirgt sich eine große Traurigkeit. Die Depression, die das Land im Griff hält, hat sich auch seiner Seele bemächtigt. Der Krieg, nur selten in knappen Nebensätzen erwähnt, ist dennoch allgegenwärtig. Robby wohnt in einer kleinen Pension, Tür an Tür mit anderen Gestrandeten, einem ständig streitenden Ehepaar, einem Studenten, der weiß, dass das Geld für den Abschluss nicht reichen wird. Alle sind sie auf ihre Weise unglücklich. Auch Robby.

Bis er Pat kennen lernt. Er begegnet ihr zufällig, als er unterwegs mit seinen Kameraden Köster und Lenz sowie „Karl“, Kösters liebevoll gehegtem Wagen, einen Autofahrer überholt, der sich dadurch zu einem Rennen herausgefordert fühlt. Der Fremde ahnt nicht, dass unter dem unscheinbaren Gehäuse Karls der Motor eines Rennwagens steckt, so wie unter Robbys rauer Schale das Herz eines Romantikers schlägt. Als die drei den fremden Wagen hinter sich lassen, sieht Robby auf dem Beifahrersitz kurz noch eine junge Frau. Am nächsten Rastplatz trifft er sie wieder. Sie kommen ins Gespräch, gehen zusammen etwas trinken, verabreden sich immer öfter. Etwas geschieht mit Robby, das ihn irritiert, verunsichert, weil es ihn verletzlich macht und alle Schutzmechanismen, die er sich nach dem Krieg angeeignet hat, außer Kraft setzt: „Es war keine Hemmung, auch keine Angst und keine Vorsicht – es war einfach nur eine sehr große Zärtlichkeit, eine Zärtlichkeit, die das Begehren überschwemmte.“

Es ist keine wilde, feurige Leidenschaft, die Robby und Pat überfällt. Schüchtern nähern sich beide einander an. Sie finden keine Worte für das, was sie fühlen, hauchen kein „Ich liebe dich“, Robby nennt seine Liebste nicht Schatz oder Mäuschen, sondern „Kamerad“. Ihre Liebe bleibt umgeben von Armut, Hoffnungslosigkeit, politischem Hass und Fanatismus; eine zarte, zerbrechliche Gemeinschaft. Es ist eine melancholische Liebe, die von der Vergänglichkeit weiß und vom Tod. Pat ist schwer krank, erleidet einen Blutsturz, muss in ein Sanatorium. Köster verkauft seinen geliebten Rennwagen, um die Behandlung zu finanzieren, Lenz wird nach einer politischen Veranstaltung auf offener Straße erschossen. „Und Pat? Mit geblendeten Augen starrte ich in den Himmel, diesen grauen, endlosen Himmel eines irren Gottes, der das Leben und das Sterben erfunden hatte, um sich zu unterhalten.“

Ein Happy End darf man da nicht erwarten, allenfalls einen schmerzlichen Trost. „Ich hätte ja auch allein und unglücklich sein können. Dann wäre ich gern gestorben.“, flüstert Pat ihrem Geliebten zu. „Jetzt ist es schwer; aber dafür bin ich auch ganz voll Liebe, wie eine Biene voll Honig, wenn sie abends in den Stock zurückkommt. Wenn ich wählen sollte – ich würde zwischen beiden immer wieder dasselbe wählen.“

Erich Maria Remarque: Drei Kameraden. Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 8,95 Euro
 

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