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Verhinderte Bestseller: Stefan Volk (smv)

Ein märchenhaft verschnörkeltes Kuriositätenkabinett

Ludwig Bemelmans: An der schönen blauen Donau

Als „An der schönen blauen Donau“ im April 1945 in New York erschien, lag das Nazi-Reich, über das sich Ludwig Bemelmans lustig machte, noch in den letzten Zügen. Der deutsche Literaturbetrieb war dem Roman damit natürlich versperrt. Doch auch im Nachkriegsdeutschland war zwischen Entsetzen und Schweigen für ein Lachen, das im Halse stecken blieb, nur wenig Platz. Bemelmans’ Buch blieb unentdeckt und unübersetzt. Erst 2007 erschien der groteske, satirische Roman dann doch noch in deutscher Sprache. Endlich.

Das, wovon Bemelmans in „An der schönen blauen Donau“ erzählt, ist so absurd wie köstlich, lustig wie traurig, abwegig und treffend zugleich. Auf einer kleinen Insel in der Donau ziehen die Fischers (Bemelmans Mutter Franziska war eine geborene Fischer) Rettiche, die, regelmäßig vom Donauwasser überspült, ein ganz besonderes Aroma entwickeln. Um ihre „Radi“ zu verkaufen, stellen sich die Fischers vor einen Regensburger Biergarten, ansonsten aber wollen sie mit dem Festland und den Nazis, die es beherrschen, nichts zu tun haben. Kein Wunder also, dass die Insel ein „Dorn im Fleische“ der Stadt Regensburg ist. Umso mehr, da es dieses Eiland offiziell gar nicht gibt, weil es zwischenzeitlich immer mal wieder vollständig überflutet wird: „Die Grenzen eines Ortes festzulegen, zu vermessen und zu veranlagen, der für einen Teil des Jahres verschwindet; der weder Name noch Adresse, noch Telefon hat; der außerhalb jedes Polizeireviers liegt, unabhängig von Müllabfuhr und Straßenreinigung ist und überdies ohne Gas- und Stromanschluss; der fernerhin weder mit dem einen noch mit dem anderen Ufer der Donau verbunden ist – kurzum, die Existenz eines solcherart unverantwortlichen Fetzen Landes wie der kleinen Insel in der Donau anzuerkennen, das ist nichts für den Magen eines deutschen Beamten.“

Als eines Tages dann auch noch ein lebendiges Schwein auf die Insel zutreibt und von den Fischers dort angebunden wird, ist das Maß voll. Selbst der dienstliche Besuch eines schneidigen, also skrupellosen SS-Offiziers kann Gruppenführer Schuft und Gauleiter Stolz da nur vorübergehend in „Hochstimmung“ versetzen: „Beide bewunderten sie die Ordnung, die unpersönliche, beiläufige, effiziente Durchführung, mit der zwölf Regensburger, die zu laut und zu sorglos geredet oder an die falschen Adressen geschrieben hatten, behandelt wurden. In den zwölf kleinen, gelben Umschlägen, die der SS-Offizier in seiner Manteltasche mitgenommen hatte, waren ihre vervielfältigten Todesurteile.“ Das Entzücken über soviel deutsche Gründlichkeit hält bei Schuft und Stolz aber nicht lange vor, weil die „Sache mit der Insel“ ihnen auf den deutschen Magen drückt. Gauleiter Stolz, ein „Tier mit menschlicher Stimme“ und „Schweinsaugen“, dem man beigebracht hat, „mit Messer und Gabel zu essen, wie es sich gehört und den Arm zum richtigen Gruß zu heben“, entschließt sich zu einer List und verkündet kurzerhand: Wenn es die Insel und ihre Bewohner nicht gibt, dann können sie auch keine Genehmigung zum Verkauf ihres „Radis“ erhalten.

„An der schönen blauen Donau“ ist ein bitterböser Roman über einen provinziellen Ungeist, dem es gleichgültig ist, ob Menschen grausam gequält oder ermordet werden, solange dabei nur alles mit rechten Dingen zugeht. Es ist aber auch ein üppiges, mit fantastischen, kauzigen Einfällen prall gefülltes, märchenhaft verschnörkeltes Kuriositätenkabinett. Das Seltsamste daran ist, dass sich all das scheinbar Widersprüchliche am Ende auf komische, schreckliche Weise wunderbar zusammenfügt.

Ludwig Bemelmans: An der schönen blauen Donau. Insel, 171 Seiten, 17,80 Euro

 

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