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Ein Mafia-Roman

Vikram Chandra: Der Pate von Bombay

Ein toter Mafiaboss, ein verliebter Polizeiinspektor und eine der verstörendsten Städte des indischen Subkontinents spielen die Hauptrollen in diesem opulenten Bombay-Roman. Der indische Autor Vikram Chandra hat mit „Der Pate von Bombay“ einmal mehr bewiesen, was für ein meisterhafter Erzähler er ist.

Ein Thriller von etwa 250 Seiten hatte dieser Roman ursprünglich werden sollen. Doch bei der Recherche merkte Vikram Chandra, dass der Stoff sich gegen eine solche Beschränkung sperrte. Und so sind es letztlich – in der jetzigen deutschen Ausgabe – gute 1300 Seiten geworden. Das war insofern etwas ungünstig, als just 2006, als der Roman auf Deutsch erschien, Indien als Schwerpunktland auf der Frankfurter Buchmesse gastierte. Da die Übersetzung dieses Opus magnum definitiv nicht mehr bis zur Messe fertig werden konnte, beschloss Chandras deutscher Verlag kurzerhand, den Roman in zwei Teilen zu veröffentlichen. Und so erschienen die ersten 750 Seiten unter dem Titel „Der Gott von Bombay“, der Rest im Jahr darauf als „Bombay Paradise“. Das kann man natürlich machen; doch der Rezeption des Buches hierzulande hat es sicher nicht gutgetan.

Notwendige kleine Sünden

Mittlerweile liegt es unter dem Titel „Der Pate von Bombay“ komplett als Taschenbuch vor. Das ergibt bei einem Umfang von 1359 Seiten einen gewaltigen Ziegelstein, der für eine gemütliche Lektüre in der Badewanne leider ungeeignet, ansonsten aber genau das Richtige für lange dunkle Winterabende ist. Schön, wenn man sich die Zeit nehmen kann, in diesen Geschichten zu versinken. Denn Vikram Chandra schafft es, viele Geschichten auf einmal zu erzählen, die gleichsam von seinen zwei Hauptfiguren ausstrahlen. Die eine ist Polizeiinspektor Sartaj Singh (der Held). Sartaj ist nach seiner Scheidung von einer Frauenzeitschrift in die Liste der bestaussehenden Junggesellen Bombays aufgenommen worden. Ohne das Geld seiner wohlhabenden Ex-Frau muss er nun ebenso wie seine Kollegen Bestechungsgelder annehmen, um über die Runden zu kommen und um seinerseits Bakschisch zahlen zu können. Das sind lässliche, lächerliche, ja geradezu notwendige kleine Sünden, die zum Überleben wichtig sind, wie wir schnell verstehen, und die im Romanganzen doch eingehen in das ganz große Gesellschaftsspiel um Macht und Reichtum. Von der Liebe ganz zu schweigen, aber die echte Version davon, das lernen wir auch, kann man sich dann doch nicht kaufen.

Der Boss spricht aus dem Jenseits


Sartajs Gegenspieler und zweite Hauptfigur des Romans (der Schurke) ist der gefürchtete Mafiaboss Ganesh Gaitonde. Beide werden sich niemals lebend von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, und doch erzählt Gaitonde Sartaj sein gesamtes Leben – angefangen kurz nachdem der Inspektor einen anonymen Tipp erhalten hat, wo der lange gesuchte Mafioso sich aufhält, und an dessen Bombayer Haustür klingelt. Das Haus ist eine fensterlose Festung. Als es den Polizisten unter Zuhilfenahme eines Bulldozers gelungen ist einzudringen, finden sie den Gangsterboss nur noch tot vor. An diesem Punkt wagt der Roman, der sich ansonsten so gewissenhaft dem realistischen Erzählen verpflichtet, einen großen Sprung ins Unwahrscheinliche; denn Ganesh Gaitonde, der begonnen hatte, Sartaj Singh seine Lebensgeschichte durch die Gegensprechanlage zu erzählen, setzt seine Rede sozusagen aus dem Jenseits fort. Verrückterweise funktioniert das sogar. Es ist ohnehin ein wenig so, als spräche dieses Buch selbst, als sei es ein eigenständiges Medium, durch das all diese Geschichten hindurch müssen, um zu uns zu gelangen. Denn zwischen Gaitondes Erzählung und der Schilderung von Sartajs Alltag als Polizist, seiner Ermittlung wegen Gaitondes Tod und der zarten Lovestory, die sich zwischen dem Inspektor und einer Zeugin anbahnt, haben noch unendlich viele andere Geschichten Platz. Keine Nebenfigur ist zu unwichtig, als dass man sie nicht mit einem eigenen faszinierenden Hintergrund ausstatten könnte. Vikram Chandra jedenfalls kann das, und er hält all seine Erzählfäden absolut souverän in der Hand. Die Hauptsache dabei ist allerdings, dass Sartaj die Welt vor einem furchtbaren Terroranschlag rettet. Er ist ja auch unser Held.
 

Vikram Chandra: Der Pate von Bombay. Übersetzt von Barbara Heller und Kathrin Razum. Aufbau, 1359 Seiten, 16,95 Euro

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