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Thomas Gsella

Der Städtebeschimpfer

Thomas Gsella war Chefredakteur der Satirezeitschrift „Titanic“, nun legt er sich als freier Autor mit einer Sammlung aus Gedichten bei „Spiegel Online“ lyrisch mit den Städten an. Von Ost nach West, von Norden nach Süden – alle bekommen in bitterbösen Reimen ihr Fett ab.

Herr Gsella, warum dichten Sie die deutschen Städte in Grund und Boden?

Tu ich das? Es wäre mir unangenehm. Ich bin viel auf Lesereisen und kam auf die Idee, das Klischee von der Hässlichkeit der meisten deutschen Städte durch Hymnen auf deren Schönheit zu entkräften. Wahrscheinlich ist es mir nicht überall geglückt. Man könnte sagen: nirgends.

Und dann haben Sie Ihrer Enttäuschung Luft verschafft?

Enttäuschung spielt mit, Gekränktheit, Wut auf die Vergeblichkeit all meiner Liebesmüh. Dazu kommt, dass ich wohl eh großen Spaß an Schmähgedichten habe und sogar privat bedeutend lieber schimpfe als lobe. Fragen Sie meine Frauen und Kinder! Und in den Städten kommt alles zusammen, was sich an Hässlichkeit, Blödheit, verwegener Architektur, mutiger Stadtplanung und überhaupt menschlicher Ausweglosigkeit bündelt. Schlimm. Wie scheußlich das alles aussieht, dieses Elend, diese Einsamkeiten, dieses Nichtleben – einfach großartig! Tröstlich war dann auch zu sehen, wie viele Menschen beleidigt sind, wenn man ihre Stadt nicht geradewegs bezaubernd findet. Noch tröstlicher war aber, dass viel mehr Leser mich um haltlose Schmähung ihres Wohnortes regelrecht anflehten.

Tatsächlich?

Leser, die verstanden, worum es mir geht, fühlten sich tatsächlich geehrt, wenn ihre Stadt drankam. Sie wollten sie gedemütigt sehen, und völlig zu Recht. Gerade die Leser im teils doch recht abenteuerlichen deutschen Osten waren stolz, wenn ich ihre Stadt vernichtete. Vor allem aus Halle und Cottbus erhielt ich begeisterte Zustimmung, obwohl ich natürlich niemals dort war.

Sie beschimpfen Städte, die Sie gar nicht kennen?

Das ist ja das abermals Schöne an Deutschland: Man kann seine Städte unbesehen akkurat beschreiben. Neuss zum Beispiel. Ich sah es nie und werde es hoffentlich nie sehen, weiß aber, dass es eine grundhässliche Stadt ist, fürchterlich zerbombt im Krieg und fürchterlich wiederaufgebaut, mit schrecklichen Einkaufszentren und tödlichen Außenvierteln, in denen tieftraurige Menschen wohnen. So ist Neuss, und so ist zweifellos auch Hildesheim oder Kempen. Oder Siegen! Ich gebe zu: Ein paar Städte gibt es, mit denen man Spezielles verbindet, ein Klischee, ein Ereignis, etwas Besonderes: Kiel – diese Segelei, Hamburg – Weltstadt mit Riesenpuff, München – Kleinstadt mit Mode für Schmalzstirnlöckchen. Soweit zu meiner Recherche. Anschließend hinsetzen, drei Strophen, fertig. Eine beinharte Arbeit!

Aber die Chancen auf irgendeine Ehrenbürgerschaft sind nun gleich null …

Ich hoffe nicht. Darum hab ich’s doch überhaupt geschrieben, dass mir Ehrenbürgerschaften en gros angetragen werden. Immerhin habe ich viele Städte erwähnt, von denen man vorher gar nicht wusste, dass es sie gibt – das sollte doch reichen, um mich zum Stadtschreiber zu küren und im Schloss wohnen zu lassen.

Sie leben in Aschaffenburg – warum gibt es dazu kein Schmähgedicht?

Ich will noch geheim halten, dass ich hier wohne. Aber im zweiten Band wird es dann ein endloses Lobgedicht auf Aschaffenburg geben, über die schönste Stadt der Welt, wenn nicht sogar Nordunterfrankens.

Um wenigstens dort Ehrenbürger zu werden?

Was heißt „wenigstens“?! Hier möchte ich alt, reich und berühmt werden.

Thomas Gsella war Chefredakteur der Satirezeitschrift „Titanic“. Seine Gedichte waren und sind u.a. in der taz, FAZ, FR, im SZ-Magazin, beim WDR und SWR zu lesen und zu hören, 2004 verlieh ihm Robert Gernhardt den Cuxhavener Joachim-Ringelnatz-Nachwuchspreis für Lyrik.

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