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Interview: Christian Blees (cb) | Fotos: Uwe Tölle

Maj Sjöwall

„Viele Skandinavien-Krimis sind schlecht geschrieben“

Das schwedische Autorengespann Sjöwall/Wahlöö gilt als historischer Vorreiter jener Erfolgswelle, die in den vergangenen Jahren immer mehr skandinavische Krimis in die Buchhandlungen gespült hat. Maj Sjöwall, die „Mutter des Schweden-Krimis“, empfing hörBücher in ihrem Büro in Stockholm zum Gespräch. Dort plauderte sie unter anderem über abendliche Schreibstunden am Küchentisch sowie über die eigene Schüchternheit.

Maj, Ihr 1975 verstorbener Ehemann Per Wahlöö und Sie werden von Kennern oft als „die Eltern des schwedischen Kriminalromans“ bezeichnet. Wie war es denn in Ihrer Heimat um dieses Genre bestellt, bevor Sie sich daran machten, die Reihe um Kommissar Martin Beck und dessen Ermittlungsteam zu entwickeln?

Bis dahin waren schwedische Krimis meist ziemlich bieder und bürgerlich dahergekommen. Meistens stand ein Amateur-Privatdetektiv im Mittelpunkt, nur selten ein Polizist. Meinem Mann und mir ging es vor allem darum, die Verbrechensaufklärung endlich einmal realistisch zu beschreiben. Da Per seinerzeit bereits als Polizeireporter gearbeitet hatte, verfügte er über gute Kontakte sowie ausreichend Hintergrundwissen. So konnten wir recht realistisch beschreiben, wie Kriminalbeamte arbeiteten – und in unseren Geschichten darüber hinaus auch noch die politischen Zustände aufs Korn nehmen.

Ihre Kritik an der Polizei, den gesellschaftlichen Verhältnissen sowie vor allem am Kapitalismus zieht sich wie ein roter Faden durch alle zehn
Beck-Bände. Hatten Sie mit Ihren politischen Botschaften beim Publikum auf Anhieb Erfolg?

Viele Kritiker mochten unsere Bücher von Anfang an, in erster Linie natürlich auch linksgerichtete Studenten. Andere wiederum fanden die Darstellungen oft zu realistisch – vor allem solche Leser, die bis dahin eher Autorinnen wie Agatha Christie favorisiert hatten. (schmunzelt)

  • Sie gilt als Mutter des Schweden­krimis: Maj Sjöwall, 74, lud hörBücher zu sich nach Stockholm ein.

Die Beck-Romane sind alle in Teamwork entstanden. Wie muss man sich die praktische Arbeit an den Büchern vorstellen?

Abends, wenn die Kinder im Bett waren, setzten Per und ich uns gegenüber an den Küchentisch und begannen zu schreiben – per Hand. Zuvor hatten wir uns einen Plot ausgedacht und auch in groben Zügen festgelegt, was in den einzelnen Kapiteln geschehen sollte. Dann schrieben wir jeweils abwechselnd ein Kapitel. Sobald die Kinder am nächsten Tag in der Schule waren, tippte ich jenes Kapitel mit der Schreibmaschine ab, das Per am Abend zuvor handschriftlich verfasst hatte, und er machte es umgekehrt mit meinem Text genauso. Dadurch war jeder von uns in Bezug auf den Fortgang der Handlung jeweils auf dem aktuellen Stand. Nach ein bis drei Monaten schließlich war dann wieder ein Buch fertig.

Noch vor Veröffentlichung des zehnten und letzten Martin-Beck-Romans, „Die Terroristen“, verstarb Per Wahlöö nach längerer Krankheit. Wie weit war das entsprechende Manuskript bis dahin gediehen?

Es war handschriftlich bereits komplett fertiggestellt. Ich musste es nur noch abtippen. Per, von dem in diesem Fall ausnahmsweise rund 70 Prozent des Manuskripts stammten, hatte all sein Herzblut hineingelegt – weil er genau wusste, dass es sein letztes sein würde. Einige seiner politischen Ausführungen waren dabei allerdings etwas zu weitschweifig geraten, so dass ich es an einigen Stellen kürzen musste. Es wäre sonst noch umfangreicher ausgefallen, als es ohnehin geworden ist.

In den Büchern zeichnen Per und Sie ein recht düsteres Bild der schwedischen Gesellschaft. Inzwischen sind seit dem Erscheinen rund vier Jahrzehnte vergangen. Wie hat sich Ihr Land seitdem entwickelt?

Per und ich wussten natürlich, dass wir mit unseren Büchern die Welt nicht würden verändern können. Aber wir wollten die Leser zumindest davor warnen, dass die Gesellschaft inhumaner werden und dass der Kapitalismus überhandnehmen würde. Heute muss ich leider sagen, dass wir Recht behalten haben – nur, dass die Entwicklung noch viel schneller vonstatten ging, als wir ursprünglich befürchtet hatten. Heutzutage leben wir in einer reinen Konsumgesellschaft, und das finde ich schrecklich.

Zu einem Aspekt dieser Konsumgesellschaft gehört es, dass sich Kriminalromane vieler skandinavischer Autoren verkaufen „wie warme Semmeln“. Ausgerechnet die Bücher von Sjöwall und Wahlöö aber findet man vergleichsweise selten im Regal. Wie kommt das?

Das liegt vor allem daran, dass ich durch den Ursprungsvertrag aus den 60er Jahren immer noch an unseren alten Verlag gebunden bin. Darin ist festgeschrieben, dass der Kontrakt unkündbar ist, so lange der Verlag spätestens alle fünf Jahre eine Neuauflage drucken lässt. Dies tut er in schöner Regelmäßigkeit – mehr aber auch nicht. In Sachen Marketing rührt der Verleger so gut wie keinen Finger. Dagegen kann ich leider nichts machen. Im Übrigen erhalte ich aufgrund des Knebelvertrags auch nach wie vor dieselben mageren Tantiemen wie noch vor 40 Jahren.

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