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Portrait: Jörn Radtke (jr) | Fotos: Gerhard Steidl

Halldór Laxness

Die Stimme Islands

Eine Hommage an den letzten National­dichter der westlichen Welt, der die isländische Literatur in die Moderne katapultierte.

Einen Artikel über Halldór Laxness mit „Die Stimme Islands“ zu überschreiben – auwei, geht es noch?! Es lebe das Klischee! Aber was soll ich machen? Halldór Laxness war für mich die Stimme Islands und er ist es immer noch. Als ich vor langer Zeit zum ersten Mal „Atomstation“ las, rieb ich mir mit jeder Seite, die ich umblätterte, heftiger die Augen. Was war das für ein Land, in dem vom Bauernmädchen über den Kleinkriminellen bis zum Minister alle per Du waren? In dem die Amerikaner um jeden Preis ihre Atomraketen gegen die Sowjets richten wollten? Das nur mit einem Bein in der modernen Welt angekommen zu sein schien und in dem die Sagas der Vorfahren wichtige Richtschnur im täglichen Leben waren? Dass ein Autor für einen solchen Roman einen Nobelpreis erhalten haben sollte, erschien mir damals mindestens genauso wunderlich, wie das Sammelsurium skurriler Gestalten in diesem Buch. Faszinierend.

Das Übernatürliche ist allgegenwärtig

Derart fasziniert stöberte ich in den Antiquariaten der Stadt nach anderen Büchern von Halldór Laxness. Und ich fand sie. Erst „Die Islandglocke“, dann das „Weltlicht“, schließlich „Das Fischkonzert“, „Die glücklichen Krieger“, „Salka Valka“, „Auf der Hauswiese“, „Seelsorge am Gletscher“, „Der große Weber von Kaschmir“, und, und, und. „Das wiedergefundene Paradies“ wühlte ich sogar als signierte Ausgabe aus einer unscheinbaren Bücherkiste. Erschienen im Laufe der Jahrzehnte in den unterschiedlichsten Übersetzungen bei Rowohlt, Suhrkamp, dtv, Bucher und der Büchergilde Gutenberg gibt es nunmehr den gesammelten Laxness bei Steidl.
Der Gleichmut, mit dem sie Schicksalsschläge, Ungerechtigkeiten, Hunger und Misshandlung hinnehmen (zum Beispiel durch die Dänen, die lange die Herrschaft über Island ausübten), ist einer der hervorstechendsten Charakterzüge von Laxness‘ Figuren. Selbst Wunder und Wunderlichkeiten werden von seinen Protagonisten hingenommen und höchstens mit der Andeutung eines Achselzuckens quittiert: Wer auf Island lebt, für den ist eben das Übernatürliche allgegenwärtig. Vor allem die Gestalt des Bauern Jón in der „Islandglocke“ verkörpert diese Eigenschaft: Und so widerfährt ihm, dem Geschundenen, der nie verzagt und aufgibt, am Ende seines Lebens Gerechtigkeit. Aber auch der Pfarrer Sira „Primus“ Jón in der „Seelsorge am Gletscher“ ist von diesem Schlage (siehe Rezension des Hörbuchs „Am Gletscher“ in diesem Heft). Statt zu missionieren und zu predigen, repariert er defekte Spirituskocher und beschlägt die Pferde der Bauern mit Hufeisen. Weder Gurus noch Wiedererweckung einer Verstorbenen aus einem in Gletschereis gefrorenen Lachs bringen den bodenständigen Pastor aus seiner Ruhe.

Für die Landsleute Liebe und Spott

Halldór Laxness hat in seinem langen, 95 Jahre währenden Leben etwa 60 Romane verfasst. Er war weit gereist und gebildet. Er kannte weit mehr von der Welt als die sturmumtosten Küsten, die Vulkane, Wasserfälle, einsamen Bauernhöfe und sumpfigen Wiesen Islands. Nachzulesen in Halldór Gudmundssons vorzüglicher und ausführlicher 864 Seiten starker Lebensbeschreibung „Halldór Laxness - Eine Biographie“. Laxness machte sich über die Sitten und Gebräuche seiner Landsleute lustig. Aber die Liebe, die er für seine Mitmenschen im Allgemeinen und die Isländer im Speziellen empfunden hat, sprechen aus jedem seiner Werke. In seinem jüngst bei Steidl erschienen „Volksbuch“ lässt Laxness sich nicht nur ausführlich über die schadhaften Zähne und Mundgeruch mancher Isländer aus, sondern er sagt auch: „Ich wurde nicht als Russe oder Chinese oder Amerikaner geschaffen – und auch nicht als Kosmopolit.“ Er sei, so schreibt er, sich absolut sicher, dass er „genau hier geboren werden sollte, versehen mit einem Körper genau dieser Rasse und der Kulturtradition dieses Volkes – alles in einer besonderen Absicht“. Und diese Absicht war es wohl, ihn zur Stimme Islands zu machen.

Halldór Gumundsson: Halldór Laxness – Eine Biographie. btb, 864 Seiten, 18 Euro

Halldór Laxness: Das Volksbuch – Über Island und Gott und die Welt. Steidl, 24 Euro

Halldór Laxness – Taschenbibliothek. Steidel, Werkausgabe in 12 Bänden, 48 Euro

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