Literatur passiert
Wie Gras
Literatur passiert. Ständig. Überall. Wirklich, man kann kaum kaum einen Pflasterstein hochheben, ohne dass – Manchmal zugegebenermaßen auch nicht. Aber ich weiß, was man dagegen tun kann.
Wenn wohlmeinende Lehrer, Eltern, Politiker und Ehrenamtliche Kindern und Jugendlichen jahrelang das Lesen nahelegen, müssen sie sich nicht wundern, wenn besagte Jugendliche als Analphabeten enden. Denn Jugendliche wollen nie, was Erwachsene wollen. Außerdem merken die doch, dass Autoritäten das Lesen nur fördern, weil sie auch in zehn, zwanzig Jahren noch kompetent an der Fleischtheke bedient werden wollen. Weil die Fähigkeit zu lesen den Jugendlichen an sich gleich viel nützlicher macht.
Wer will, dass Bücher gelesen werden, muss sie verbieten. Bücher sollten in etwa so illegal werden wie Marijuana. Das würde ausreichen. Neugierige Vierzehnjährige würden sich nach der Schule in heruntergekommenen Gegenden herumdrücken und schließlich betont beiläufig einen verdächtig schlecht sortierten Kiosk aufsuchen. Ihre Herzen würden schneller schlagen, wenn die Besitzerin sie mit einem wissenden Grinsen ins Hinterzimmer bäte, und ein erwartungsvolles Lächeln breitete sich auf ihren Gesichtern aus, sobald sie ihnen aus einem verborgenen Fach die Ware reichte.
„Ein Thomas Mann. Und hier bisschen Kafka.“ – „Das ist ja nur Reclam.“ – „Seid froh, dass ihr überhaupt was kriegt.“ – „Sind da überhaupt alle Seiten drin? Letztes Mal war fast nur Umschlag.“ Die Verkäuferin würde mit den Schultern zucken und eine Augenbraue hochziehen. Dann schöben die Kunden resigniert das angesparte Taschengeld mehrerer Monate über die Theke, verstauten die Bücher diskret in ihren Schultaschen und schlichen zur Bushaltestelle. Hypotaxe – sogar das Wort Hypotaxe – würden diese Jugendlichen nur noch heimlich verwenden, dafür aber souverän. Manchmal würde man in ihren Gesichtern die Spuren einer durchlesenen Nacht entdecken. Man würde ihnen wohlwollend zuzwinkern und raunen: „Übertreib‘s nicht!“