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Überschätzte Bücher: Stefan Volk (smv)

Katharina Hagena: Der Geschmack von Apfelkernen

Katharina Hagenas Erstling „Der Geschmack von Apfelkernen“ stürmte die Bestsellerlisten und begeisterte die Kritiker. Dabei hat ihr sentimental-nostalgischer Roman über Liebe, Familie, drei Frauengenerationen und das Erinnern bestenfalls Pilcher-Format.

Sie sind giftig und schmecken nach Marzipan. Mehr weiß Katharina Hagena über den „Geschmack von Apfelkernen“ nicht zu berichten. Und auch das ist natürlich symbolisch gemeint. Für Ich-Erzählerin Iris schmecken die Kerne nach Kindheit und Ferien. Als ihre Großmutter Bertha stirbt, erbt sie das Haus in Bootshaven, einem kleinen Örtchen in der norddeutschen Tiefebene, wo sie als Kind die Sommer verbrachte. Jetzt kehrt sie zurück. Zuerst zur Beerdigung, dann zur Testamentseröffnung, und schließlich bleibt sie noch länger; allein in Oma Berthas Haus, das voller Erinnerungen steckt. Davon nämlich will Hagena eigentlich erzählen: vom Erinnern und vom Vergessen.

Etwa in der Mitte ihres gefeierten und sensationell erfolgreichen Debütromans schreibt sie dazu einen schönen Satz fürs Poesiealbum: „Und ich stellte fest, dass nicht nur das Vergessen eine Form des Erinnerns war, sondern auch das Erinnern eine Form des Vergessens.“ Alles riecht, duftet, dampft und schmeckt nach früher, einst, nach damals: „Das wogende Dickicht aus Phlox duftete zart. Rittersporn streckte blaue Lanzen in den Abendhimmel. Lupinen und Ringelblumen leuchteten über dem Boden, Glockenblumen nickten mir zu.“ Fast möchte man zurückwinken. In diesem betulich nostalgischen, metaphorisch übersättigten Schlumpfhausenstil geht es noch seitenlang weiter: „Dunkelgelbe und rosarote Schirme aus Schafgarbe neigten sich über die Wege, und als ich sie zurückbog, rochen meine Hände nach Kräutern und Sommerferien.“ Schwülstig trivialer Postkartenkitsch.

Als Iris nackt baden geht, begegnet sie einem alten Kindheitsfreund und verliebt sich in ihn, wie man das aus ZDF-Sonntagsfilmen so kennt. Gleichzeitig aber wird Iris von der Vergangenheit eingeholt. Ihre Cousine Rosmarie stürzte mit fünfzehn eines Nachts vom Dach des Wintergartens, starb, war vielleicht lesbisch, in jedem Fall unglücklich. Rosmaries Vater wusste nichts von seiner Tochter. Und Herr Lexow, der freundliche alte Herr aus der dritten Generation, gibt sich überraschend als Iris’ Großonkel zu erkennen. Das ist alles zu viel, zu üppig – man könnte eine ganze Vorabendserie daraus bestreiten – und gleichzeitig penetrant beschaulich, oberflächlich, halbseiden, nichtssagend.

Mit „knappen Worten“, heißt es, erzählte Lexow, „was damals geschehen war.“ Aber mit knappen Worten hat es Hagena nun so gar nicht. Deshalb erteilt sie lieber Iris das Wort, die abschweift und en passant noch zwei, drei andere Lebensschicksale Revue passieren lässt, bis es unter den „knappen Worten“ Lexows seltsamerweise schon zu dämmern begonnen hat. Erst jetzt erfährt man endlich, was damals vorgefallen war: Lexow, noch ein junger Lehrer und in Bertha verliebt, schlich sehnsuchtsvoll durch die Nacht, als ihm plötzlich ein Mädchen aus einem Apfelbaum vor die Füße fiel. Beide liebten sich sofort, und erst hinterher stellte Lexow fest, dass es gar nicht Bertha war, sondern deren Schwester Anna, die ihn da verführt hatte. Am anderen Morgen fielen die Blüten „in dicken Flocken“ zu Boden und der „ganze Hof stand ehrfurchtsvoll, misstrauisch, beglückt oder einfach nur verwundert um den Baum herum.“

Doch nicht genug: Anna starb kurz darauf an einer Lungenentzündung. Und jetzt kommt der Knüller: „Als Bertha einen Monat nach dem sommerlichen Apfelblühwunder weinend durch den Garten lief, sah sie, dass die roten Johannisbeeren weiß geworden waren.“ Nichts gegen große Gefühle, nichts gegen Pathos. Wenn es einem aber auf derart seicht-sentimentale Weise verabreicht wird wie in „Der Geschmack von Apfelkernen“ hat das nichts Mythisches, nichts Märchenhaft-magisches und ist schon gar nicht „intelligent“ oder „wohltuend altmodisch“, wie in den teilweise euphorischen Kritiken zu Hagenas Erstling zu lesen war, sondern einfach nur peinlich und plump.

Katharina Hagena: Der Geschmack von Apfelkernen. Kiepenheuer & Witsch, 258 Seiten, 8,99 Euro, als E-Book erhältlich

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