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Interview: Jörn Radtke (jr) | Fotos: Uwe Tölle

Joachim Kerzel und Tobias Kluckert

„Das ist Selbstmord“

Zwei Sprecher, ein Werk: Joachim Kerzel und Tobias Kluckert haben beide Ken Folletts Roman „Die Tore der Welt“ eingelesen. Kerzel die gekürzte und Kluckert die ungekürzte Fassung. hörBücher befragte die beiden nach ihren An- und Einsichten in die Welt der Sprecher.

Wie bereiten Sie sich auf die Lesung eines Romans vor? Lesen Sie den Roman vorher komplett durch?

Kerzel: Ja, ich lese erst den ungekürzten Roman, dann die gekürzte Fassung. Nur so weiß ich, was gekürzt wurde und wie ich nach einer gestrichenen Szene wieder in den Roman einsteige. Dann lese ich es halblaut vor mich hin, sehr konzentriert und mache mir meine Eintragungen. Das ist eine sehr schöne Arbeit.

Kluckert: Ich lese einen Teil leise, einen Teil laut, etwa Dialoge. Dann mache ich mir meine Markierungen. Ich muss wissen, was ich da lese. Ich habe schon Hörbücher gehört, bei denen ich gemerkt habe, dass die, die sie vorlesen, nicht wissen, was sie da vorlesen – und so möchte ich niemals klingen.

Kerzel: Ich habe nicht gedacht, dass es so etwas gibt. Bis mir eine Kollegin erzählt, dass sie sich darauf nicht vorbereitet. Da liest die prima vista (= vom Blatt lesen)! Das ist mir unbegreiflich! Vielleicht macht sie das ganz toll. Es gibt Leute, die ganz toll prima vista lesen. Aber ich hätte Angst.

Kluckert: Ich habe es mittlerweile einige Male gemacht, weil einfach keine andere Möglichkeit bestand. Es funktioniert. Aber natürlich ist das Resultat niemals so gut. Ich habe eine Lesung von Dieter Mann gehört, der die Neuarbeitung der Odyssee aufgenommen hat. Ein anderer Kollege hat ihn angerufen und gefragt, wie lange er sich denn darauf vorbereitet habe? Da sagt er: „Ein halbes Jahr.“ Ein halbes Jahr hat er jeden Abend gelesen! Dann wurden maximal 50 Seiten am Tag produziert. Das Resultat ist wunderschön.

  • Ausgezeichnete Sprecher: Joachim Kerzel mit dem „HörKules“ und der Marathon-Mann: Tobias Kluckert.

Bei „Die Tore der Welt“ lagen zwischen der Fertigstellung der Übersetzung des englischen Originals und der Produktion der gekürzten und ungekürzten deutschen Hörbuch-Fassung nur wenige Monate …

Kluckert: Ich hatte tatsächlich zwei Tage effektive Vorbereitungszeit. Als ich ins Atelier kam, wurde mir gesagt: Das Buch ist noch mal durchs Lektorat gegangen, es gibt da noch Änderungen, es gibt ein neues Skript. Also konnte ich mit meinen eigenen Markierungen nicht mehr arbeiten, so dass ich mehr oder weniger prima vista gelesen habe.

Kerzel: Das ist gemein. Man bereitet sich vor, kann fast blind lesen, wenn man sich auf seine Zeichen und Eintragungen verlässt, und dann kriegt man ein neues Skript!

Kluckert: Ja, ich hatte innerhalb von zwei Tagen alles für mich vorgelesen und dann hieß es „April, April, jetzt ist alles anders!“ Also habe ich einfach losgelegt. Wenn ich dann Gefahr lief, einen Satz zu verhauen, weil ich merkte, dass ich keine Ahnung habe, wo ich hinten rauskomme, habe ich abgesetzt und noch mal von vorne begonnen.

Kerzel: Ja, das ist gemein ...

Hat da die Regie eine starke Rolle gespielt?

Kluckert: Nein. Ich habe noch nie ein Hörbuch mit einer besonders starken Regie gemacht, die mir genau sagt, was ich machen soll. Das war immer so, dass es in die Hände des Künstlers übergeben und nur darauf geachtet wurde, dass Namen richtig ausgesprochen werden und so eine Kontinuität da ist.

Kerzel: Die müssen Vertrauen haben, sonst geht das nicht. Das schafft man sonst gar nicht in der Zeit. Wenn mich ein Regisseur nach jedem zweiten Satz unterbricht, da würde ich nach Hause gehen. Besser ist, man lässt längere Passagen lesen und bespricht anschließend, wo es durchhing, und bessert dann nach.

Kluckert: So kenne ich das auch. Man sagt, an dieser oder jener Stelle fehlt der Sauerstoff, und geht später noch einmal rein. Alles andere wäre bei 2.500 Seiten Wahnsinn.

 

Joachim Kerzel

Joachim Kerzel wurde 1941 in Oberschlesien geboren, wuchs in Augsburg auf und lebt heute in Berlin. Während er in den 60er Jahren Theater spielte und in 70er Jahren in Fernsehfilmen auftrat, gilt Kerzel seitdem als einer der renommiertesten deutschen Synchronsprecher. Er leiht seine Stimme u.a. Anthony Hopkins, Harvey Keitel, Dennis Hopper, Jack Nicholson und Dustin Hoffman. Er erhielt den „Deutschen Preis für Synchron“ und eine Goldene Schallplatte für seine Lesung von Ken Folletts „Die Säulen der Erde“. Hörspiel-Fans kennen ihn zudem als Erzähler der Reihe „Geisterjäger John Sinclair“.

Tobias Kluckert
Tobias Kluckert wurde 1972 als Sohn des Schauspielers Jürgen Kluckert geboren. Er lebt in Berlin und arbeitet erfolgreich als Synchronsprecher. In der deutschen Fassung des Films „Walk the line“ spricht er Joaquin Phoenix als Johnny Cash. Regelmäßig zu hören ist Kluckert in der Hörspielserie „Richard Diamond – Privatdetektiv“, produziert von Oliver Rohrbecks Lauscherlounge.

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