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Interview: Elisabeth Dietz (ed)

Roger Willemsen

„Die Erloschenen sind meine Gegner“

Ein Ende der Welt kann an einem schneebedeckten Feldweg in der Eifel oder hinter einer Kurve des nepalesischen Prithvi Highway liegen, am Ende eines Bordellflurs in Bombay oder in der Einsamkeit des Fremden in Hongkong. Auf fünf Kontinenten hat Roger Willemsen für sein jüngstes Buch die Enden der Welt aufgesucht.

Herr Willemsen, wie fühlt sich ein Ende der Welt an?

Ein Ende der Welt hat seinen Zauber zunächst darin, dass es einem erstmalig die Idee einpflanzt, es könnte ein solches sein. In einem endlosen Raum gesagt zu bekommen: Hier ist ein Ende, das ist eine eigene Erfahrung. Wie eine Berührung, wie eine Grenze.

Können Sie eine dieser Erfahrungen beschreiben?

Ja, zum Beispiel am Amu-Darja – eine reißende Flusslandschaft an der Grenze von Afghanistan, auf die viele historische Reisende zugereist und auf dem Weg dorthin umgekommen sind. An diesem kalten Fluss dachte ich an die Krieger, die auf ihren Pferden von einer Seite zur anderen geschwommen sind. Auf dem Boden des Stromes liegen die Kunstwerke Afghanistans, versenkt von den Taliban. Dieser Fluss war für mich Inbegriff einer großen Erwartung, ein Ort des Sehnens. Und dann stehe ich vor ihm und er sagt – nichts. Diese Wesenlosigkeit ist grandios. Eine Landschaft, die nichts meint, die sich keinem Objektiv entgegenreckt, die keine Schauseite hat, die man nicht in ein Hoch- oder Breitformat bringen kann.

Kartografen früherer Tage schrieben auf die weißen Stellen auf ihren Landkarten, die die Enden der ihnen bekannten Welt markierten: „Hier leben Ungeheuer.“ Ist das so?

Das ist so. Die Ungeheuer, das sind unterseeische Vulkane, Seebeben, Vulkanausbrüche, Naturkatastrophen. Und Menschen, die auf einer anderen moralischen Grundlage leben, weil sie keiner menschlichen Gemeinschaft, sondern nur der Natur verpflichtet sind.

Welche der Menschen, die Sie auf Ihren Reisen getroffen haben, würden Sie gern noch einmal treffen?

Die Galerie ist lang. An erster Stelle müsste ich eine Frau nennen, die ich in Kamtschatka getroffen habe und die im Text Jelena heißt. Jelena ist eine sehr charismatische Frau mit einer ganz starken und etwas rätselhaften Ausstrahlung. Ohne oberflächliche Attraktivität und mit einer Hintergründigkeit, die ich sehr mochte.

Und gibt es auch solche, die Sie auf gar keinen Fall wiedertreffen möchten?

Ja. Aber ich würde immer an allererster Stelle sagen: Die Langweiligsten. Die Toten. Die innerlich Gestorbenen. Die, die sich nur über ihr Image Gedanken machen. Die, die sich nicht mehr erneuern können. Die Erloschenen. Das sind meine Gegner.

Wie haben Sie Ihren Text für die Hörbuchfassung bearbeitet?

Ich habe zunächst eine Reihe von Episoden herausgenommen. Auf dem Hörbuch wollte ich dem Literarischen den Vorrang geben. Was ich etwa über Gorée (eine als Sklaveninsel bekanntes Eiland vor der Küste Senegals, d. Red.) geschrieben habe, ließ sich ohne eine genauere Betrachtung der Sklaverei nicht schreiben. Das ist nicht auf dem Hörbuch, weil es eher dokumentarischen Charakter hat. Dann habe ich Mühe gehabt, Geschichten, in denen es viele Neben- und Unterlinien gibt, auf einen Akkord zu bringen. Aber allzu starke Einschnitte hätten mir wehgetan, weil sie das Literarische kränken. Der Rest war Kürzen.

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