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Interview: Nicole Trötzer | Fotos: Olaf Ballnuß

Die Barcelona-Tetralogie

Neues vom Friedhof der vergessenen Bücher

Mit dem Roman „Der Gefangene des Himmels“ führt Carlos Ruiz Zafón seine Leser wieder zurück in ein mythisches, gotisch-unheimliches Barcelona. Im Hamburger Literaten-Hotel Wedina plaudert der derzeit erfolgreichste spanische Autor über seine Kindheit in Barcelona und das Spanien der Gegenwart.

Zafón kommt etwas müde vom Jetlag die Treppe herab, trägt einen blaurot gestreiften Pulli mit einem Krokodil darauf, bestellt Cola und ist sehr gesprächig. Ein förmliches „Señor Zafón“ lehnt er ab und lässt sich per Du ansprechen.

Du hast eine große Drachenkollektion, es sollen schon rund 500 sein ...

Als ich sie das letzte Mal gezählt habe, waren es schon über 400. Ich finde immer wieder welche auf meinen Reisen, oder jemand schenkt mir einen. Ich habe sie überall verteilt, einige sitzen in meinem Büro in Barcelona, andere bewohnen mein Haus in Los Angeles. Es dürften jetzt tatsächlich zwischen 500 und 600 sein.

Was gefällt dir an Drachen?

Ich denke, das hängt mit meiner Kindheit zusammen. Ich bin in Barcelona aufgewachsen, da ist das Symbol des Drachens in der Architektur der Stadt sehr verbreitet. Sie sitzen an den Fassaden, am Paseo de Gràcia gibt es ein großes Gebäude von Gaudí, das aussieht wie ein schlafender Drache. Als ich klein war, habe ich mich immer mit den Drachen identifiziert. Als ich die Legende vom heiligen Georg, der gegen den Drachen kämpft, gelesen habe, fand ich den Ritter nie sympathisch, ich war immer für den Drachen, das Feuer speiende Biest.

Dann könntest du mal einen Roman über Drachen schreiben, die Fantasyliteratur erfreut sich ja großer Beliebtheit.

Fantasy ist im Grunde nicht mein Genre, aber im vergangenen Jahr habe ich tatsächlich ein Märchen geschrieben, das mit der Entstehung des Friedhofs der vergessenen Bücher im Zusammenhang steht und den Titel „Rosa de fuego“ trägt. Darin geht es auch um die Legende des heiligen Georg und um einen Drachen. Die Handlung spielt im mittelalterlichen Barcelona, das Buch ist aber noch nicht auf Deutsch erschienen.

Dein aktueller gerade auf Deutsch erschienener Roman „Der Gefangene des Himmels“ beinhaltet im Gegensatz zu dem vorherigen „Spiel des Engels“ weniger düstere Elemente, es mischen sich Abenteuer mit Romantik und Humor. Darin ähnelt dieser dritte Roman wieder mehr dem ersten aus dem Zyklus: „Im Schatten des Windes“.

Ja, der neue Roman ist nicht so düster wie „Das Spiel des Engels“. Ich habe von Anfang an vier Romane geplant, die wie ein Labyrinth miteinander verbunden sind. „Der Gefangene des Himmels“ greift wieder den Ton des ersten Romans auf, was auch daran liegt, dass wir hier wieder den Figuren Daniel Sempere und Fermín begegnen. Den humorvollen Ton des Romans bestimmt vor allem Fermín, der dieses Mal die Hauptperson ist. Er ist Optimist und hat ein heiteres Gemüt, darin unterscheidet er sich vollkommen von David Martin aus dem Roman davor, der ja langsam den Verstand verliert und sich in der Hölle seines eigenen Wahnsinns verliert. „Der Gefangene des Himmels“ führt uns in das Herz der Fabel hinein, wir erfahren mehr über die Hintergründe der Handlung aus den ersten zwei Bänden, wir sehen, wie die Figuren miteinander in Verbindung stehen.

Und die Personifizierung des Bösen finden wir dieses Mal in Mauricio Valls, einem Franco-Schergen?

Ja, er verkörpert das konkrete Böse, nicht etwas übernatürlich Dunkles. Er steht für die Hinterlist des gemeinen Menschen, wie er waren viele zur Franco-Zeit.

Er ist ein Folterknecht und Faschist.

Aber er ist kein überzeugter Faschist, er gehört zu diesen Leuten, denen wir täglich auf der Straße begegnen und die nur unter bestimmten historischen Begebenheiten Gelegenheit haben, ihr wahres Ich zu zeigen. Normalerweise müssen solche Menschen ihre wahren Bestrebungen verbergen. Valls ist im Grunde durchschnittlich, getrieben von Neid, Gier, Hass und Größenwahn. Zur Zeit des Franco-Regimes konnten solche Menschen ihre wahre Natur preisgeben.

Diese historische Ambientierung zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges und der Diktatur unter Franco bis in die Fünfzigerjahre spielt hier eine wichtige Rolle, soll der Roman auch das kollektive Erinnern an diese Zeit bewirken?

Ja, in der Geschichte Spaniens spielt der Bürgerkrieg eine ebenso wichtige Rolle wie der Zweite Weltkrieg. Nach dem Ende des Bürgerkriegs kam Franco an die Macht und zur selben Zeit begann der Zweite Weltkrieg. Bis 1941 ging Franco davon aus, dass Europa in den Händen Hitlers und Mussolinis bleiben würde, also nutzte er die Situation, um sich in seinem Land für den Bürgerkrieg zu rächen. Die Hetzjagd war vor allem in Barcelona sehr grausam. Als absehbar war, dass die faschistischen Mächte in Europa von den Alliierten besiegt würden, änderte Franco seine Taktik und setzte auf General Eisenhower. 

Was denkst du über die gegenwärtige politische Situation in Barcelona? Bedingt durch die aktuelle Wirtschaftskrise wollen viele Katalanen sich von der Regierung in Madrid lösen.

Ich habe im Prinzip nichts dagegen, aber ich bin kein Nationalist. Besorgniserregend finde ich an dieser Unabhängigkeitsbewegung die Frage, wie man das langfristig umsetzen soll, welche Rolle würde Katalonien denn in der EU übernehmen? Was wird aus der Währung, wird es Zölle auf Importe geben, in welcher Beziehung soll Katalonien zu dem in Madrid regierten spanischen Staat stehen? Das sind doch die wichtigen Fragen. Die Situation in Spanien ist sehr kompliziert, die Wirtschaftskrise ist schlimm, und viele Leute entwickeln jetzt die Illusion, mehr Unabhängigkeit von Madrid könne die aktuellen Probleme lösen.

Zurück zu deiner Barcelona-Tetralogie: Die drei bisherigen Romane spielen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, diese Epoche scheint dich zu faszinieren.

Ich denke, das hat damit zu tun, dass sie die Essenz von Barcelona ausmacht. Die Epoche zwischen der Industriellen Revolution und der Jahrhundertmitte ist die Schlüsselperiode in der Geschichte der Stadt. Zu dieser Zeit bildete sich alles heraus, was Barcelona ausmacht: die modernistische Kunst, Bürgerkrieg und Aufstände, das alles definiert die Stadt viel besser als der sehr touristische Charakter von heute.

Ist das der Grund, weshalb du inzwischen in den USA in Los Angeles lebst?

Nun, ich lebe eine Hälfte des Jahres in Los Angeles, die andere Hälfte verbringe ich in Europa, da ist mein Basislager immer Barcelona.

Warum gerade Los Angeles?

Ich habe dort einen guten Teil meine Jugend verbracht, es ist schon zu meiner zweiten Heimat geworden. Beide Städte gehören zu meinem Leben, ich mag gerade den Wechsel, ich lebe nicht gern ständig an einem Ort. 

Das Gotische Viertel von Barcelona und den Bezirk Raval beschreibst du also vor allem aus dem Gedächtnis?

Ich stamme aus dem Viertel rund um die Kathedrale Sagrada Familia, ich kenne das Gotische Viertel und den Raval in und auswendig. Ich habe alle Straßen und Häuser verinnerlicht, auch die Geschichte der Stadt. Mir geht es vor allem darum, Barcelona wie eine Romanfigur mit einem eigenen Charakter zu beschreiben.

Dabei nutzt du düstere, schaurige Elemente, um eine unheimliche Atmosphäre zu schaffen.

Ja, das ist ein Teil meines Erzählstils. Ein Roman handelt ja nicht nur von einer Geschichte, sondern zeichnet sich vor allem dadurch aus, wie er das Geschehen in Szene setzt. In diesem Fall gehört der gotische, unheimliche Anstrich zur ästhetischen Stilisierung der Handlung.

Deine Art zu schreiben hat viel mit Kino gemeinsam, interessiert dich eine Verfilmung deiner Romane?

Nein, tatsächlich wollte ich das nie. Ich habe selbst in der Filmproduktion gearbeitet, ich weiß, wie das läuft. Ich habe überhaupt nichts gegen Kinofilme, aber meine Romane sind mein Werk und niemand soll daraus Filme oder Videospiele entwickeln. Manchmal müssen Bücher einfach Bücher bleiben, und ich glaube außerdem, dass kein Medium eine Geschichte so reich und schön erzählen kann wie ein gut geschriebenes Buch. Meine Romane über den Friedhof der vergessenen Bücher handeln ja gerade eben von Literatur, vom Schreiben und Lesen guter Bücher – da wäre es ja Verrat, die Geschichte für ein anderes Medium zu benutzen.

Literatur ist also deine große Liebe?

Ich liebe auch andere Künste, Malerei, Architektur, vor allem Musik. Ich habe kleine Klavierstücke komponiert, inspiriert von Episoden und Figuren aus meinen Büchern.

Erhältst du viele Reaktionen von Lesern auf deine Bücher, beantwortest du ihre Briefe?

Einige Leser schreiben an meinen Verlag, um mir etwas mitzuteilen. Ich sage immer, ihre Briefe sind Antworten, denn mein Brief an den Leser war ja mein Buch. Ich lese alle Briefe und bewahre auch welche auf, ich schätze die Meinung der Leser sehr, wenn sie – anders als einige professionelle Kritiker – frei und authentisch urteilen. Ich will wissen, wie ihnen meine Bücher gefallen.

Du hast früher einmal Werbespots für eine Werbeagentur gedreht, wann kam dieser Moment, in dem du dich entschieden hast, frei und unabhängig das zu schreiben, was du willst?

Als ich achtzehn war, jobbte ich beim Theater und bekam dieses Angebot, in einer Werbeagentur zu arbeiten. Ich wollte Schriftsteller werden, aber ich brauchte Geld. Damals in den Achtzigerjahren verdiente man sehr gut als Werbetexter. Nebenbei schrieb ich einen Roman und gewann einen Preis für Jugendliteratur. Dieser erste Erfolg als Autor machte mir Angst, ich fragte mich, was aus mir werden sollte. Ich brauchte ein paar Jahre, bis ich soweit war, das zu schreiben, was ich schreiben wollte. Die Zeit davor war aber sehr lehrreich. Ich denke, auch wenn man Talent hat, muss man erst einmal üben, ein Schriftsteller muss das Schreiben trainieren, wie ein Athlet seinen Körper trainiert, bevor er etwas Großes leistet. Man versucht immer, besser zu werden. Als Schriftsteller setze ich mir am Anfang eines neuen Projektes ein Ziel, skizziere die Struktur der Geschichte in meinem Kopf und arbeite sie schrittweise heraus.

Hast du die labyrinthische Struktur der Romane von vornherein genau geplant?

Größtenteils ja. Wenn man sich auf eine Reise begibt, muss man wissen, wohin man will. Aber man muss auch flexibel bleiben, um trotz des strikt vorgezeichneten Plans Fehler zu bemerken, oder man hat eine neue Idee und schreibt alles um, das ist immer ein kreativer Prozess.

Schreibst du bereits an dem vierten Roman über den Friedhof der vergessenen Bücher?

Ja, ich arbeite bereits daran, es wird noch eine Weile dauern, mein Ziel ist, den letzten Band des Zyklus 2014 zu beenden. Alle Figuren werden wieder auftreten und in gewisser Weise soll der letzte Roman die Auflösung des Labyrinths sein.

Carlos Ruiz Zafón: Der Gefangene des Himmels. Übersetzt von Peter Schwaar. S. Fischer Verlag, 416 Seiten, 22,99 Euro, als E-Book erhältlich

Hörbuch
Argon, 447 Minuten/7 CDs, 29,95 Euro

 

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