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Interview: Christian Bärmann (bär) | Fotos: Uwe Tölle

Neil Gaiman

Kinder lieben es, erschreckt zu werden

Neil Gaiman freut sich, dass auch der deutsche Sprecher seines Romans „Das Graveyard-Buch“, Jens Wawrzceck, zum hörBücher-Interview erschienen ist. Beide treffen sich zum ersten Mal und werden am Abend in einer Hamburger Kirche aus dem Buch lesen. Schon im Aufzug beginnt ein Gespräch, das im Interviewzimmer fortgesetzt wird ...

Jens Wawrczeck (zu Neil Gaiman): ... und stehen Sie mit Ihren Fans in Kontakt?

Neil Gaiman: Ich verehre meine Fans. Acht Jahre lang habe ich fast täglich auf meiner Website geblogt. In diesem Jahr fahre ich das etwas herunter, weil es sich so langsam wie Arbeit anfühlt, zumal ich täglich rund 200 Leserfragen erhalte. Jetzt twittere ich mehr und blogge weniger, das hat mir gut getan. Ich lasse die Fans kurz und bündig wissen, was ich tue und wo ich sein werde. Aber man sollte nur twittern, wenn man bereit ist, sich auf die Sucht einzulassen. Twitter macht man nicht so nebenbei. Mich begeistert daran, dass die Nachricht sofort lesbar ist. Man zielt mit seinen Gedanken auf Tausende von Leuten, die sich für einen interessieren.

Jens, im Fahrstuhl eben meinten Sie, dass Sie sich beim Lesen von „Das Graveyard-Buch“ nicht sicher waren, ob es schon für 10-Jährige geeignet sei ...

Jens Wawrczeck: Ja, ich finde, dass es für 10-Jährige ganz schön heftig ist. Ich fand es auch ziemlich heftig – und ich bin 46 (lacht).

Neil Gaiman: Mir hat neulich ein 35-Jähriger gesagt, dass er seiner 7-jährigen Tochter nicht erlauben würde, „Coraline“ im Kino zu sehen, da er traumatisiert aus dem Film gekommen sei. Aber warum sollte es dem Kind genauso gehen? Vielleicht war der Vater nur traumatisiert, weil er unterdrückte Erinnerungen an seine Kindheit hatte. Kinder sind nicht so. Und was ist mit der Geschichte von „Hänsel und Gretel“? Weil ein Holzfäller und seine Frau ihre Familie nicht ernähren können, setzen sie ihre Kinder im Wald aus, damit diese verhungern und nicht die ganze Familie. Die beiden Kinder treffen eine Kanibalin, die den Jungen einkerkert und fett macht, um ihn zu essen. Das Mädchen wird zur Dienerin, verbrennt die Frau im Ofen und befreit ihren Bruder. Zu Hause stellen sie fest, dass ihre Mutter tot ist und ihr Vater sie wieder willkommen heißt. Wenn man Erwachsenen diese Geschichte mit anderen Namen erzählt, sagen sie, dass man sie nie Kinder erzählen dürfe – aber natürlich lieben Kinder diese Geschichte. Sie ist nett, befriedigend, die richtigen Personen sterben an den richtigen Stellen. Selbst wenn man diese Geschichte mit sieben Jahren gehört hat, wird man wohl kaum behaupten, dass einem dadurch das Leben zerstört worden sein. „Struwwelpeter“ habe ich als Kind geliebt. Oder Grimms Märchen. Kinder lieben es, erschreckt zu werden ...

  • Beim gemeinsamen Interview in Hamburg zeigten Neil Gaiman und Sprecher Jens Wawrczeck grosses Interesse für die Arbeit des anderen.

Wobei gerade die ersten Szenen vom „Graveyard- Buch“, in denen eine Familie kaltblütig ermordet wird, schon sehr furchterregend sind ...

Neil Gaiman: Sicher, aber ich glaube, dass es für Erwachsene viel furchterrregender ist, da sie die Erfahrung aus Horrorfilmen mit einbauen. Sie wissen, was passiert, wenn ein Mann mit einem Messer eine Familie tötet. 10-jährige werden das nicht so furchterregend finden, weil sie nach anderen Hinweisen suchen. Das Gleiche gilt für Sex. In „Sternenwanderer“ habe ich versucht, eine Sexszene zu schreiben – als Erwachsener weiß man genau, was da passiert. Als Kind weiß man das nicht. Erwachsene sagten mir, das sei Pornografie. Dabei wurden die Worte erst durch die sexuelle Erfahrung des Betrachters zu Pornografie. Ein Kind liest nur die Wörter und weiß, dass sich dort ein Paar auf seltsame Weise knuddelt.

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